Regierung im Glück: Keiner hebt der Opposition jetzt die Flügel

NATIONALRAT: STROLZ
NATIONALRAT: STROLZAPA/ROBERT JAEGER
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Nicht nur durch seinen Rückzug schwächt Neos-Chef Strolz die Kontrollkräfte im Parlament, sondern vor allem durch den Mangel an Offenheit und Ehrlichkeit.

Warum haben Politiker nahezu jede Glaubwürdigkeit verloren?“ Diese Frage stellte Neos-Chef Matthias Strolz 2011 in seinem Buch „Warum wir Politikern nicht trauen“. Die Antwort, die er sich und anderen heute darauf geben muss, sollte entschieden anders ausfallen als jene vor sieben Jahren auf 210 Seiten. Sie müsste ungefähr so ausfallen: Weil auch ich acht Monate nach meiner Wahl Misstrauen rechtfertige und Glaubwürdigkeit beschädige.
Vor sieben Jahren wusste Strolz noch, worauf es ankommt: „Meine Stimmabgabe erfolgt im Vertrauen darauf, dass der von mir gewählte Politiker seine Versprechen als meine inhaltlichen Präferenzen im Großen und Ganzen umsetzt.“ Eben! Und was ist jetzt mit jenen, die 2017 im Vertrauen darauf Neos gewählt haben? Der von ihnen „gewählte Politiker“ war Strolz, nicht Irmgard Griss, nicht Beate Meinl-Reisinger.

Strolz hat Vertrauen nicht missbraucht, Glaubwürdigkeit nicht beschädigt, weil er sich aus der Politik zurückzieht. Er hat es durch die Art und Weise, den Wust an wenig glaubhaften Begründungen, den Versuch, hinter einer Nebelwand zu verschwinden, getan. Jemand, der fünf Jahre Transparenz, Ehrlichkeit und alle tollen Tugenden eingefordert hat, der hätte der Offenheit und Schonungslosigkeit verpflichtet sein müssen.

Seine Wähler hätten es verstanden, wenn er offen zugegeben hätte: „Ich brenne für Österreich, aber ich bin ausgebrannt. Ich brauche eine Auszeit.“ So aber hat Strolz nicht mehr als die in der Politik übliche Fadenscheinigkeit und einen leicht durchschaubaren Spin geboten. Es ist ihm nicht annähernd gelungen, seine Motive glaubhaft darzustellen. Die Kluft zwischen „verkaufter“ und tatsächlicher Wahrheit in der Politik, die er in seinem Buch so wortreich beklagt hatte, wurde durch seine Entscheidung noch vergrößert. Herzlichen Glückwunsch!

Herzliche Gratulation auch der Koalition von ÖVP und FPÖ, die dieses Wochenende in Wien in Klausur geht. Besser als zurzeit kann es einer Regierung nicht gehen: Von einer Opposition in Agonie oder internen Turbulenzen haben Regierende nichts zu fürchten, Wähler dafür umso mehr. Es ist nicht nur ein österreichisches Phänomen, siehe USA, siehe Ungarn etc. Dass Österreich nicht nur jetzt, aber jetzt besonders, eine starke Kontrolle, ein beachtliches Gegengewicht benötigt, muss Strolz wissen. In einer solchen Zeit lässt man Mitstreiter und Wähler nicht im Stich – außer . . . Aber dann erklärt man es anders, siehe oben.

Was ist nun mit: Der Opposition die Flügel heben! Es kann doch niemand glauben, dass man auf die Liste Pilz zählen sollte. Sie kriegt zurzeit eine mediale Beachtung, die sie überhaupt nicht verdient und nur der Posse um Peter Pilz zu verdanken hat. Eine ernsthafte Beschäftigung ist bis auf Weiteres reine Zeitverschwendung.

Nun gut, Strolz hat kein Durchhaltevermögen, die Liste Pilz ist ein egomanisches Muster ohne Wert. In der SPÖ wiederum leiden noch immer alle mit ihrem Vorsitzenden, Christian Kern, unter PTKS – dem Posttraumatischen Kurz-Syndrom eben.

Sollten Kern & Friends sich nicht bald in Behandlung begeben, werden die für die liberale Demokratie unverzichtbaren Oppositionskräfte noch mehr Schaden nehmen. Ein wenig mehr Grün, ein wenig mehr Blau in ein neues rotes Parteiprogramm zu zwingen, ohne klares und verständliches Konzept für eine Politik links der Mitte macht die Oppositionspolitik auch nicht kantiger.
Schon jetzt zeigt das Aufmerksamkeitsdefizit von SPÖ und Neos Wirkung. Gegen das neue Fremdenrecht protestierten Juristen serienweise wegen Verletzung des Rechtsstaats. Von den Oppositionsparteien war nichts zu hören. Oder die Blamage von Innenminister Herbert Kickl (FPÖ). Warum fordert niemand dessen Rücktritt wegen rechtswidriger Entscheidung in der BVT-Affäre und Schaden für die Sicherheit? Was hätte eine FPÖ in Opposition da aufgeführt!

Sorry, Matthias Strolz, aber gerade Zeiten wie diese erfordern Ehrlichkeit.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

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