Verdammt zu den immer gleichen Fehlern? Die ÖVP und ihre Wagenburg

Die Toleranz für interne Skeptiker ist seit Langem in keiner Partei in Österreich besonders groß. In der ÖVP kursieren Gerüchte über einen Parteiausschluss Heinrich Neissers, die prompt dementiert werden.

Die ÖVP ist eine christliche Partei. Wahrscheinlich ziehen deshalb manche Parallelen zur Entwicklung in der katholischen Kirche in Österreich, die für sie auf einen kleinen, aber feinen Kern hinausläuft. Was den einen, der ÖVP, skeptische, kritische und ungeduldige Altpolitiker, sind den anderen kritische und ungeduldige Priester.

Wie kommt man überhaupt auf die Idee, dass es in der ÖVP unter Michael Spindelegger Anzeichen für einen Rückzug auf einen „harten Kern“ gibt? Da ist einmal die völlig unverständliche Begierde der Minipartei in Wien nach einem „echten Proporz“, einer automatischen Beteiligung an der Stadtregierung; also nach einem System, das seit Jahren in Verruf gekommen und zu Recht da und dort bereits abgeschafft worden ist.

Wie will die Wiener ÖVP der erstaunten Öffentlichkeit erklären, dass es bei dieser unzeitgemäßen Forderung um etwas anderes als darum geht, Macht auch bei einem Absinken unter die Zehn-Prozent-Marke an Wählerzustimmung abzusichern und mehr davon zu bekommen, als in den viel besseren Zeiten von über 30Prozent Wähleranteil möglich war. So nach dem Motto: So klein können wir gar nicht werden, dass wir nicht einen Teil der Macht behalten können.

Nachdem aber der Geschäftsführer einer 13,99-Prozent-Truppe in der ÖVP eine politisch so kontraproduktive Forderung wohl nicht ohne Absprache mit der Bundespartei erheben kann, müssen dort irgendwo Sympathisanten für die Klein/Fein-Variante und das Wagenburg-Modell sitzen.

Und da wäre auch die zurzeit überhitzte Gerüchteküche, dass es in der ÖVP einen Kreis gibt, der den Parteiausschluss des ehemaligen Ministers und Parlamentspräsidenten Heinrich Neisser betreibt; und dass ein kleiner Kreis in der Bundespartei es ablehnt, sich mit Neissers Initiative „Mehrheitswahlrecht und Demokratiereform“ und der parteiübergreifenden Initiative „Mein Österreich“, zu deren Proponenten Neisser auch gehört, auseinanderzusetzen. Fakt ist jedenfalls, dass die Bundespartei bisher keinerlei Interesse an einem Gespräch bekundet hat.

Neisser zeigt sich überrascht. Er habe zwar zu seiner Partei „keine herzliche Beziehung“, auch habe noch nie jemand mit ihm über die Initiativen geredet, aber von einem Ausschluss habe er nichts gehört. Erst im Sommer habe er die Goldene Nadel des ÖAAB bekommen.

ÖVP-Generalsekretär Johannes Rauch kann zwar nicht sagen, ob sich nicht irgendeine „Gemeindepartei in Tripstrill“ über Neissers wiederholte Kritik an den Zuständen so ärgert, dass sie an Ausschluss denkt, „aber im inneren Kreis der ÖVP ist das kein Thema“, sagt er. Und er selbst schätze Neisser sehr, dieser habe seine Diplomarbeit betreut. Auch interessiere ihn vor allem das personenbezogene Wahlrechtsmodell.

Offenbar sind die Abschottungstendenzen in der ÖVP so stark, dass man ihr sogar ein solch kontraproduktives hartes Vorgehen zutraut. Verdammt zu den immer gleichen Fehlern? Man sollte aus der Zeit der Schüssel-Regierungen wissen, dass die Wagenburg-Mentalität der Partei nur Schaden bringt. Denn ohne diese und die daraus resultierende Überheblichkeit hätte die ÖVP die Wahl 2006 nicht verlieren können. Es muss doch unter den aktuellen ÖVP-Akteuren jemand sein, der dem „inneren Kreis“ das erklären kann.


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Zur Autorin:

Anneliese Rohrer ist Journalistin in Wien: Reality Check http://diepresse.com/blog/rohrer

Ihr neues Buch: „Ende des Gehorsams“ (Verlag Braumüller).

Der nächste Mutbürgerstammtisch findet am 14. November um 17 Uhr im Wiener Burgkino statt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.10.2011)

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