Sprachlos im Ministerrat: Fragst du mich nicht, frag ich dich nicht!

Warum hat die gesamte Regierung jenem Gesetzesvorschlag zugestimmt, den Justizministerin Karl nun zurückziehen musste? Weil kein Mitglied einem anderen in dessen Bereich „hineinpfuschen“ darf/will.

Die Fakten sind verwirrend, doch es verbirgt sich kein Geheimnis dahinter: Da wird Justizministerin Beatrix Karl angeblich beim Versuch „ertappt“, heimlich die Aufweichung des Berufsgeheimnisses gesetzlich abzusichern. Als der Proteststurm losbricht, verteidigt sie sich mit der Zustimmung des gesamten Ministerrates zur Gesetzesänderung, weshalb von heimlich etc. keine Rede sein könne.

Dessen ungeachtet geht wenige Tage später ihre Parteifreundin und Regierungskollegin Johanna Mikl-Leitner in der ORF-Pressestunde auf Distanz zu Karl und befindet, man müsse die Betroffenen – Ärzte, Anwälte, Journalisten – bei dieser „sensiblen Materie“ einbinden. Mikl-Leitner hat ja so ihre Erfahrung mit Ministerratsbeschlüssen und Distanzierungen.

Im November des Vorjahres beschloss sie in der Regierungssitzung die sogenannte „Schuldenbremse“ mit, gegen die sich der ÖAAB, dessen Chefin sie ist, dann vehement ausgesprochen hat. Damals war Finanzministerin Maria Fekter um Klarheit bemüht: Sie glaube schon, dass Mikl-Leitner „den Beschluss, den sie noch vor ein paar Tagen im Ministerrat gefällt hat, mittragen wird“. Auch als ÖAAB-Chefin gegen die Entscheidung ihrer Organisation? Dieses Geheimnis wurde nie gelüftet.

Auch bei dem Karl-Gesetz im Ministerrat, von dem sie sich dann absetzte, muss die Innenministerin mitgestimmt haben. Denn der Ministerrat ist ein sogenanntes Gesamtorgan, in dem die Einstimmigkeit gilt. Somit könnte jeder einzelne Minister mit einem Veto oder der Androhung eines Einspruchs jeden Beschluss und somit jedes Gesetz verhindern. Selten, aber mitunter doch, wurden so Vorhaben vor der Sitzung zurückgezogen.

Die Praxis sieht allerdings ganz anders aus. Ein ehemaliges Regierungsmitglied gab vor Jahren einen tiefen Einblick. Weil es sich damals um ein privates Gespräch gehandelt hat, bleibt die Namensnennung hier aus. Thema war damals der Eurofighter-Ankauf. Habe denn niemand in der damaligen Regierung Wolfgang Schüssels wissen wollen, warum plötzlich und völlig überraschend die Entscheidung für die Eurofighter und nicht die schwedischen Gripen gefallen sei, war die Frage.

Nein, niemand, lautete die Antwort des Ex-Ministers und er führte aus: Es sei im Ministerrat nicht üblich, Entscheidungen, Vorlagen, Pläne eines anderen Ressorts, eines anderen Regierungsmitglieds zu hinterfragen – vor allem aus dem Grund, weil man selbst nicht Rede und Antwort für den eigenen Bereich stehen will. Es gelte das Motto: Fragst du mich nicht, frage ich dich auch nicht – und alle haben ihre Ruhe.

Er selbst, so der Ex-Minister weiter, habe seine Lektion gelernt. Er habe die Durchführung eines Privatisierungsvorhabens angezweifelt. Es sei ihm unmissverständlich klargemacht worden, dass er hier gegen Gepflogenheiten verstoße. Seine Durchsetzungsmöglichkeiten seien in der Folge ziemlich reduziert worden.

So gesehen ist klar, wie ein derart umstrittener Gesetzesvorschlag wie jener Karls, von dem sich dann alle distanzieren, den Ministerrat passieren kann. Wer sich mit den Vorhaben anderer Ressorts nicht beschäftigt oder nicht beschäftigen darf, dem kann gar nichts auffallen. Man müsste die Praxis ändern, von der aber alle Minister profitieren. Dass daran wenig Interesse besteht, ist kein Geheimnis.


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Zur Autorin:

Anneliese Rohrer ist Journalistin in Wien: Reality Check http://diepresse.com/blog/rohrer

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.03.2012)

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