Nicht jeder Armutsmigrant wird als kulturelle Bereicherung empfunden

Zehntausende Rumänen und Bulgaren fliehen vor Not und Elend in Richtung des reichen Nordens. Wenn die Politik das Problem wegwischt, werden schwere soziale Konflikte die Folge sein.

Der „Deutsche Städtetag“, eine honorige Interessenvertretung von über 3000 bundesdeutschen Kommunen, gilt nicht eben als Ansammlung von Springerstiefel tragenden Glatzköpfen in Nazi-Montur. Um so irritierender ist jenes „Positionspapier zur Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien“, das die biederen Kommunalpolitiker jüngst publiziert haben – und das in Wahrheit ein lauter Hilferuf ist.

Denn die „Armutsmigration“ aus diesen beiden Staaten wächst dramatisch an, was in deutschen Städten bereits zu hochexplosiven Konflikten zwischen den Migranten und der einheimischen Bevölkerung geführt hat. Man muss weder bekennender Strache-Fan noch primitiver Fremdenfeind sein, um ähnliche Probleme, wie der deutsche Städtetag sie beschreibt, möglicherweise auch auf Wien, Graz oder Linz zukommen zu sehen; besonders wenn ab nächstem Jahr auch für die Bürger Rumäniens und Bulgariens die volle Freizügigkeit innerhalb der EU gilt.

„Die Zuwanderung von bulgarischen und rumänischen Staatsangehörigen ohne Sprachkenntnisse, soziale Absicherung und berufliche Perspektive, die vielfach in verwahrloste Immobilien ziehen oder sich als Obdachlose in den Städten aufhalten, hat erhebliche Auswirkungen auf das kommunale Bildungs-, Sozial- und Gesundheitssystem, den Arbeits- und den Wohnungsmarkt, aber auch das Gemeinwesen insgesamt“, klagt der Städtebund. „In einigen Quartieren führt die Situation mittlerweile zu sichtbaren Problemkonstellationen. Dies wiegt umso schwerer, als die Zuwanderer aus Südosteuropa zum größten Teil in den Quartieren leben, die ohnehin durch eine unterdurchschnittliche soziale Lage mit vergleichsweise hoher Arbeitslosen- und Sozialleistungsquote gekennzeichnet sind. In einigen Nachbarschaften ist die Zuwanderung aus den beiden Staaten auf ein Vielfaches gestiegen...“

Dass in Rumänien und Bulgarien „die Minderheit der Roma“ (so das Positionspapier) unfreiwillig unter sehr widrigen Bedingungen lebt und deshalb besonders migrationsbereit ist, wird von sensiblen Geistern als politisch unkorrekter Hinweis verstanden werden, bringt das Problem aber nicht wirklich zum Verschwinden.

Entstanden ist es im Wesentlichen, weil die EU den Beitritt der beiden Staaten offenbar nach dem Prinzip Hoffnung organisiert hat. „Eine Armutswanderung von EU-Bürgerinnen und EU-Bürgern ist in der EU schlicht nicht vorgesehen“, beklagen die Kommunen in ihrem Papier. Und diese Armutsmigration einfach als kulturelle Bereicherung des europäischen Friedensprojektes wegzuplaudern, wird nicht wirklich sachdienlich sein.

Schon einmal, in den 1980er- und 90er-Jahren, hat die politische Klasse versucht, die durch Migration geschaffenen Probleme zuerst zu leugnen, dann schönzureden, danach all jene, die die Probleme benannten, als Rechtsextremisten zu denunzieren – um schließlich in Panik hinter den Forderungen der Rechtspopulisten herzuhecheln.

Was geschehen wird, wenn die Politik diesen Fehler angesichts der Armutsmigration aus dem Südosten wiederholt, ahnt der Städtebund: „Das Gefährdungspotenzial für den sozialen Frieden ist enorm“, die Probleme würden „zu Projektionsflächen für rechtsextremes Gedankengut“. Die Geschichte lehrt eh, aber es hört ihr halt wieder einmal niemand zu.


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("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.02.2013)

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