Wie riskant ist es eigentlich, seine Kinder in eine Schule zu schicken?

Ein Lehrervertreter hält die Kündigung unfähiger Kollegen für unvereinbar mit der Würde des Menschen. Fragt sich, ob Eltern ihre Kinder eigentlich noch in die Schule lassen sollen.

Einen ebenso aufschlussreichen wie irritierenden Blick in die Gedankenwelt österreichischer Lehrer verdanken wir deren hochrangigem Personalvertreter Paul Kimberger. Angesprochen auf einen Vorschlag der Stronach-Partei, für ihren Beruf absolut und evidentermaßen ungeeignete Pädagogen zu kündigen, erwiderte Herr Kimberger nämlich, dies sei „...abzulehnen, denn es gibt auch eine Menschenwürde“.

Wir lernen: Die Kündigung von beispielsweise ein paar Daily-Mitarbeitern oder zahllosen anderen Opfern von Firmenpleiten ist menschenwürdemäßig nicht weiter erwähnenswert, und auch der Unterricht von Kindern durch inkompetente Lehrer ist mit der Menschenwürde vereinbar. Nur deren Kündigung wäre ein Akt der Barbarei, vergleichbar vermutlich der Christenverfolgung im alten Rom.

Auf so eine, ähem, originelle Idee muss man erst einmal kommen – und wohl noch völlig schambefreit sein, um sie wie Herr Kimberger auch noch publik zu machen.

Die Vorstellung, dass jemand auf kleine Kinder losgelassen wird, der die Kündigung von Arbeitnehmern, die nicht geeignet für ihren Beruf sind, als Verstoß gegen die Menschenwürde versteht, hat deshalb etwas einigermaßen Erschreckendes an sich. Wir wollen uns jetzt lieber nicht auch noch vorstellen, was aus Kindern wird, die solche Lehrer haben.

Fast noch erschreckender ist freilich die Vorstellung, dass einer wie Lehrer Kimberger ja nicht durch einen blutigen Putsch oder eine Verfügung übergeordneter Intelligenzen Gewerkschaftschef geworden ist, sondern durch demokratische Wahlen im Kreise der Lehrkörper. Weshalb zu vermuten ist: Manche der Damen und Herren Pädagogen werden das nicht viel anders sehen. Darauf deutet übrigens nicht zuletzt der Umstand hin, dass die sonst außerordentlich leserbriefschreibtüchtigen Lehrer die Redaktionen nicht eben mit Waschkörben von Briefen überschütteten, in denen sie sich von den Absonderlichkeiten ihres Personalvertreters distanzierten. (Was aber natürlich auch daran liegen kann, dass der kurze zweimonatige Urlaub im Sommer einfach keine Zeit für derartige Schreibarbeiten ohne zusätzliche Honorierung lässt.)

Leider ist ob der Aufregung Kimbergers über die menschenverachtende Zumutung, unfähige Lehrer so loszuwerden wie Unternehmen unfähige Baggerfahrer oder unfähige Versicherungsvertreter loswerden, eine nicht ganz unerhebliche Frage in den Hintergrund gerückt: nämlich die, ob es wirklich okay ist, dass jene drei oder fünf Prozent Lehrer, die für ihren Job nicht geeignet sind, bis zum Erreichen des Pensionsalters auf Kinder und Jugendliche losgelassen werden. Denn im Gegensatz zu jenen drei oder fünf Prozent Ungeeigneter, die es natürlich in jedem anderen Beruf genauso gibt und die deshalb früher oder später an die frische Luft gesetzt werden, gibt es diese essenziell notwendige Form der Qualitätssicherung im Lehrberuf nicht. Dass ein Lehrer wegen offenkundiger Unfähigkeit seinen Job verlor, dürfte in diesem Land seit Einführung der Keilschrift nicht passiert sein.

Jene Kinder, die das Pech haben, einen untauglichen Pädagogen ertragen zu müssen und deshalb halt ein bisschen weniger Lebens- und Berufschancen haben werden, können sich über dieses Pech ja immer noch mit dem Gedanken hinwegtrösten, einen erheblichen Beitrag zur Bewahrung der Menschenwürde in diesem Land geleistet zu haben.


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Christian Ortner ist Kolumnist und Autor in Wien. Er leitet „Ortneronline. Das Zentralorgan des Neoliberalismus“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.08.2013)

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