The Kings Speech oder: Das Ende des Wohlfahrtsstaates

Die niederländische Regierung verkündet den Abschied vom überbordenden Sozialstaat. Das ist in Österreich natürlich nicht nötig. Wir haben ja die „ruhige Hand“ des Bundeskanzlers.

Stellen Sie sich bitte vor, sie drehen am Abend den Fernsehapparat auf und es erscheint der österreichische Bundeskanzler mit einer Ansprache, deren zentraler Satz lautet: „Der Wohlfahrtsstaat ist am Ende.“ Das ist natürlich pure politische Fiktion, denn eher wird die Republik Österreich ein islamischer Gottesstaat mit der Scharia als Staatsgrundgesetz als dass einem Bundeskanzler, gleich welcher Couleur, ein derartig skandalöses Bekenntnis über die Lippen käme.

Der fürsorgliche Wohlfahrtsstaat, also gleichsam ein Nation gewordener Gemeindebau für acht Millionen Insassen, ist mittlerweile geradezu der Kern der österreichischen Identität. Und den stellt kein Politiker, der Herr seiner Sinne ist, zur Disposition.

Um so bemerkenswerter ist, dass jüngst genau dies der niederländische König Willem-Alexander in seiner ersten Thronrede, die traditionsgemäß vom Ministerpräsidenten geschrieben wird, vor dem Parlament in Den Haag gesagt hat: „Der klassische Wohlfahrtsstaat verwandelt sich langsam, aber sicher in eine Gesellschaft der Selbstverantwortung“, ließ Premier Mark Rutte seinen König sagen. Oder, etwas weniger feinfühlig formuliert: Weil auch Holland pleite ist, gibt es künftig deutlich weniger Kohle für alle, die es sich in den Komfortzonen des Wohlfahrtsstaates zulasten Dritter gemütlich gemacht haben.

Damit ist die niederländische Regierung die erste Europas, die einen evidenten Sachverhalt auch offen ausspricht. Seit etwa 1970 haben alle Nationen in Westeuropa einen historisch einmaligen Sozial- und Wohlfahrtsstaat errichtet, der breiten Schichten Wohlstand verschaffte. Finanziert wurde dies im Wesentlichen auf Pump. Weshalb die Staatsschulden fast überall in Europa von durchschnittlich 15 Prozent der Wirtschaftsleistung in den 1970er-Jahren auf Werte gegen die 100-Prozent-Marke anstiegen. Was, wie sich seit der Finanzkrise 2008 recht drastisch zeigte, nicht mehr nachhaltig ist und einem permanenten Flirt mit dem Staatsbankrott nahekommt.

Dass sich Europa mit der Einführung des Euro ohne Not zusätzliche ökonomische Komplikationen eingehandelt hat und gleichzeitig munter und vor allem dementsprechend kostenintensiv vergreist, bessert die existenzbedrohende Krise des Wohlfahrtsstaates auch nicht eben.

Natürlich werden auch die Niederlande ihren Sozialstaat nicht von heute auf morgen abwracken. Indem sie aber die neue Realität erstmals offen adressierte, bereitet die Regierung in Den Haag die Bevölkerung auf das Unabwendbare vor: weniger Leistungen vom Staat für grundsicherungsaffine Milieus, mehr Eigenverantwortung jedes Einzelnen für seine Wohlfahrt. Die Party ist nicht vorbei, aber Champagner auf Pump wird nicht mehr ausgeschenkt.

Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet die Niederländer avantgardistisch die neue Realität zur Kenntnis nehmen. Als Händler- und Seefahrernation zwischen Deutschland und dem Vereinigten Königreich gelegen, wissen sie gut um die Notwendigkeit der Veränderungsbereitschaft, der kaufmännischen Vorsicht und der Anpassung an wirtschaftliche Zwänge.

Fein, dass Derartiges den Österreichern nicht zugemutet werden muss. Hier wird ja mit ruhiger Hand regiert, und die Zukunft gehört den Optimisten. Das wird den Wohlfahrtsstaat sicher auch weiter üppig finanzieren.


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("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.09.2013)

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