Von der Notwendigkeit, den Gesetzgeber zu entmündigen

Eine Lehre aus der Hypo: Wir brauchen kein „Primat der Politik über die Märkte“, sondern enge Fesseln für die Politik beim Schuldenmachen.

Seit Griechenland und andere Kreditjunkies die Erfahrung machen mussten, dass staatliche Schuldenexzesse irgendwann dazu führen, dass die Geldgeber entweder keine frische Kohle mehr rausrücken oder wenn, dann nur noch zu angemessen hohen Zinsen, sind sich die meisten Politiker in Europa einig: das „Primat der Politik über die Finanzmärkte“ müsse wiederhergestellt werden, wie das etwa der SPÖ-Vorsitzende Werner Faymann regelmäßig einmahnt. Soll heißen: Anspruch auf unbegrenzten Kredit zu möglichst wenig Zinsen.

Wer sich dafür interessiert, was dieses „Primat der Politik über die Finanzmärkte“ in der Praxis heißt, braucht heute dazu bloß einen Blick auf die rauchenden Ruinen der Hypo Alpe Adria zu werfen. Geradezu mustergültig hat hier die Politik das Primat über die Finanzmärkte ausgeübt, in Gestalt des Landes Kärnten, in Gestalt des Freistaates Bayern und schließlich in Gestalt der Republik Österreich als Eigentümer. All diese öffentlichen Hände haben die Bank nicht nach den bösen neoliberalen Gesetzen der Betriebswirtschaftslehre und den menschenverachtenden Erfordernissen der Finanzmärkte geführt, sondern nach den Bedürfnissen der Politik und der Politiker so lange missbraucht, bis der Laden pleite war. Primat der Politik über die Finanzmärkte at it's best, sozusagen.

Wer ein Interesse daran hat, dass sich eine ökonomische Kernschmelze nach Art der Hypo nicht wiederholt, wird daher nicht nach einem „Primat der Politik über die Finanzmärkte“ rufen, sondern nach dem genauen Gegenteil: einer Teilentmündigung der Politik. Um das zu erreichen, wird wohl das Recht der Politiker im Bund, den Ländern und den Gemeinden, ihren Wählern nach oben offene Schulden und Haftungen aufzuzwingen, ohne dass die sich dagegen wehren können, substanziell zu beschneiden sein.

Auch wenn hypothetische Geschichtsbetrachtung unzulässig ist: Hätte es eine Begrenzung des demokratischen Rechtes der (diesfalls Kärntner) Landtagsabgeordneten gegeben, Haftungen in irren Dimensionen zu vergeben, dann müsste der österreichische Steuerzahler jetzt nicht für einen Milliardenschaden geradestehen.

Nicht ein „Primat der Politik“ ist nötig, sondern eine bombensichere verfassungsrechtliche Besachwalterung der öffentlichen Hand, den Staat zu verschulden, etwa durch eine Super-Schuldenbremse, die auch mit Zweidrittelmehrheit nicht zu knacken ist und den Schuldenstand Österreichs (und das Haftungsvolumen) mit einem Deckel versieht. Rechtlich wäre das wahrscheinlich nur im Wege einer (Gesamt-)Änderung der Bundesverfassung samt Volksabstimmung zu machen, was einer Selbstentmannung der Parlamente von Bund und Ländern gleichkommt.

Anders aber, das zeigt die kostspielige Erfahrung mittlerweile nur all zu deutlich, wird das Primat der Politik weiterhin wüten wie bisher – und zwar so lange, solange noch irgend jemand bereit ist, uns Geld zu borgen.

Wer sich darauf verlässt, dass die Regierung aus freien Stücken auch ohne harte verfassungsrechtliche Restriktionen – oder irgendwann den Druck der Finanzmärkte – einen radikalen Schnitt mit der Politik des Schuldenexzesses machen wird, dem ist wohl wirklich nicht mehr zu helfen. Zu glauben, dass Österreich ab 2016 einen ausgeglichenen Haushalt hat, dass dann keine neuen Schulden mehr aufgenommen werden und schließlich das Budget in den kommenden Jahren in Richtung auf die festgeschriebene Schuldengrenze von 60 Prozent des Bruttonationalproduktes erstellt wird – das zu glauben erfordert schon eine lebensgefährliche Dosis an bewusstseinsverändernden Substanzen.

Zur Erinnerung: Diese Hütchenspielerei wird von den gleichen Leuten inszeniert, die noch vor einem Jahr „Gerechtigkeit“ und eine „Entfesselung der Wirtschaft“ versprachen. Die Glaubwürdigkeit dieses politischen Personals bezüglich der Droge Schulden entspricht daher etwa der Werthaltigkeit einer Hypo-Anleihe ohne Staatsgarantie. Was auf die Österreicher zukommt, sind noch mehr Schulden, noch mehr Steuern, noch mehr Defizit. „Primat der Politik über die Märkte“ eben.

E-Mails an:debatte@diepresse.comZum Autor:

Christian Ortner ist Kolumnist und Autor in Wien. Er leitet „ortneronline. Das Zentralorgan des Neoliberalismus“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.02.2014)

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