Haben Sie große Lust, für den Kredit Ihres Nachbarn zu haften?

Warum nach den Wahlen zum EU-Parlament wieder über eine Vergemeinschaftung der Staatsschulden in der Eurozone nachgedacht werden wird: Keine gute Idee!

Es kann ja ein Zufall gewesen sein, aber es wäre ein eher merkwürdiger Zufall: Fast gleichzeitig haben nämlich jüngst sowohl Martin Schulz, Spitzenkandidat der Sozialdemokraten bei den kommenden EU-Wahlen, als auch sein bürgerlicher Widerpart, Jean Claude Juncker, sich in Interviews für die Einführung sogenannter Eurobonds ausgesprochen. Also eine Umstellung der Staatsfinanzierung in der Eurozone von separaten Staatsschulden der einzelnen Mitgliedsländer auf eine gemeinsame Schuldenaufnahme, deren Erlöse dann untereinander aufgeteilt würden.

Flankiert wird die Offensive der beiden Politiker von einem „Manifest französischer Ökonomen“, in dem ein Dutzend einflussreicher gallischer Wirtschaftswissenschaftler fordert: „Die Schulden der Länder der Eurozone müssen vergemeinschaftet werden. [...] Ohne einen solchen Schritt wird die Spekulation immer weitergehen.“ Man muss kein übertrieben talentierter Verschwörungstheoretiker sein, um zu vermuten, dass dieser finanzpolitische Pas de deux des Deutschen und des Luxemburgers samt akademischer Schützenhilfe aus Paris unter Umständen das Vorspiel zur Einführung derartiger Eurobonds in den kommenden Jahren sein könnte.

Verhindert hat eine derartige Vergemeinschaftung der Staatsschulden in Europa bisher vor allem die deutsche Bundeskanzlerin – und zwar gegen den Wunsch von Franzosen, Italienern und der ganzen Schuldenperipherie der Union, der Europäischen Kommission und der meisten Ökonomen der schuldenaffinen Schule, die meint, dass hohe Schulden am besten mit noch höheren Schulden bekämpft werden können.

Frau Merkel hat freilich wiederholt eindrucksvoll bewiesen, wie ereignisflexibel sie ihre Positionen nach links verschieben kann, wenn ihr das opportun erscheint. Darauf zu hoffen, dass sie in dieser Frage über den Tag der EU-Wahl hinaus prinzipientreu die „last woman standing“ gegen die Eurobonds geben wird, hieße daher, ihre politische Beweglichkeit arg zu unterschätzen.

Dass die Idee, die Schulden der Eurozone zu vergemeinschaften, nach den EU-Wahlen wieder auf die Tagesordnung gesetzt werden könnte, liegt vor allem an den nach wie vor bestehenden wirtschaftlichen Ungleichgewichten in der Eurozone. Frankreich ist nach Bekunden eines Ministers der Hollande-Regierung so gut wie pleite, Italiens Staatsfinanzen sind nach wie vor prekär, selbst die Niederlande erleben eine veritable Schuldenkrise.

Zu behaupten, die Eurokrise sei vorbei, erfordert daher ein ziemlich solides Brett vor dem Kopf. Vor allem den besonders verschuldeten und besonders veränderungsresistenten Mitgliedern der Eurozone käme daher eine gemeinsame Schuldenaufnahme höchst zupass.

Den lästigen Druck der Kreditgeber (den ohnehin schon die Europäische Zentralbank durch ihr Versprechen, notfalls unbegrenzt Staatsanleihen zu kaufen, stark gelindert hat) würden die Kreditjunkies dann endlich ganz los sein. Genau das ist auch die wirklich große Gefahr der gemeinsamen Staatsfinanzierung über Eurobonds.

Die Mitgliedsländer dieser Schuldenunion gerieten dann in eine den österreichischen Bundesländern vergleichbare Lage: Dem Druck der neoliberalen und menschenverachtenden Finanzmärkte entzogen, könnten sie flugs wieder auf Brot und Spiele zur Belustigung des Wählers setzen, auf Reformen pfeifen und getrost darauf vertrauen, dass Deutschland im Zweifelsfall haftet.

Schon im Maastricht-Vertrag wurde hoch und heilig versprochen worden, dass die Mitgliedstaaten bestimmte Höchstwerte bei Schulden und Defizit zu beachten haben und nicht gegenseitig für ihre Verbindlichkeiten haften dürfen. Das alles ist mittlerweile freilich ungefähr so viel wert wie die ukrainische Souveränität über die Krim: Nämlich genau nichts! Wer angesichts dieser Erfahrungen immer noch glaubt, Eurobonds würden keine neuen Schuldenexzesse provozieren, dem ist nicht mehr zu helfen.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

Zum Autor:

Christian Ortner ist Kolumnist und Autor in Wien. Er leitet „ortneronline. Das Zentralorgan des
Neoliberalismus“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.04.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.