Lebt Hitler als deutsch-türkischer Bestsellerautor jetzt in Berlin?

Der Erfolg von Thilo Sarrazin und Akif Pirinçci ist auch eine Folge jener oberlehrerhaften Attitüde, mit der manche Medien ihre Kunden umerziehen wollen.

Das deutschsprachige Feuilleton hyperventiliert in diesen Tagen, als stünde die Abschaffung von Demokratie, Menschenrechten und Meinungsfreiheit oder – noch schlimmer – gar der staatlichen Kultursubventionen unmittelbar bevor. Anlass der kollektiven Erregung ist das Buch „Deutschland von Sinnen. Der irre Kult um Frauen, Homosexuelle und Zuwanderern“ des türkischstämmigen deutschen Autors Akif Pirinçci. Vom Verlag wird das Buch als „Abrechnung mit Gutmenschen und vaterlandslosen Gesellen, die von Familie und Heimat nichts wissen wollen, mit einer verwirrten Öffentlichkeit, die jede sexuelle Abseitigkeit vergottet, mit Feminismus und Gender Mainstreaming, mit dem sich immer aggressiver ausbreitenden Islam und seinen deutschen Unterstützern...“ angepriesen.

Dem Autor, dessen völlig respektbefreiter, brutaler und vulgärer Sound wie Thilo Sarrazin auf Koks und Speed wirkt, gelang damit das wahrscheinlich auflagenstärkste Buch der letzten Jahre, nicht zuletzt dank tatkräftiger Mithilfe von „linksversifften“ (O-Ton Pirinçci) Journalisten, für die er Hohn und Spott in Großhandelsmengen bereithält. Die Hamburger „Zeit“ verglich Pirinçcis Buch allen Ernstes mit Adolf Hitlers „Mein Kampf“. Der Vorwurf, er sei ein „Hassprediger“, gehört in diesen Tagen noch zu den ausgewogeneren Urteilen über den Autor.

Damit gibt es im deutschen Sprachraum bereits zwei Megasellerautoren – der andere ist Sarrazin –, die ob ihrer politischen Ansichten in der veröffentlichten Meinung als Kotzbrocken übelster Sorte denunziert werden, aber trotzdem Millionen von Fans gewonnen haben, die ihre Texte offenkundig mit einem Seufzer des Endlich-spricht-jemand-aus-was-Sache-ist genießen. Was ist da eigentlich los?

Dass Millionen Leser solche gegen den Strom gebürstete Texte lieben, ist ein Symptom: für die gewaltige Diskrepanz zwischen der Welt, wie die Mehrheit der Menschen sie wahrnimmt, und der Welt, wie sie von vielen Meinungsmachern wahrgenommen wird. Wenn etwa in einer linksliberalen österreichischen Tageszeitung immer wieder schwere Straftaten im Milieu von Asylwerbern so beschrieben werden, als handle es sich um eine kleine Wirtshausrauferei unter Einheimischen, entsteht beim Adressaten nicht selten der Eindruck, Objekt einer pädagogischen Anstrengung mit dem Ziel zu sein, ihn endlich zu einem politisch korrekten Anhänger der Multikulturalität zu machen. Dieser aber will im Normalfall von seiner Zeitung nicht umerzogen, sondern bloß informiert werden.

Natürlich kann man es geschmacklos, falsch oder gar verhetzend finden, wenn Pirinçci einen „irren Kult“ um verschiedene soziale Gruppen behauptet. Faktum ist aber trotzdem, dass die thematischen Prioritäten der Meinungsmacher oft erheblich von jenen ihrer Kunden abweichen. Denn ihnen sind nun einmal die Sorge um ihren Arbeitsplatz, die dahinschmelzende Kaufkraft ihrer bescheidenen Ersparnisse und der Ärger über den letzten Wohnungseinbruch wesentlich wichtiger als die Befindlichkeit von sozialen Gruppen, die sich regelmäßig besonderer Anteilnahme des medialen Milieus erfreuen, und sei es aus noch so validen Gründen. Da tut sich einfach ein Abgrund auf, den einer wie Pirinçci vorzüglich bewirtschaften kann.

Man kann den Erfolg seines Buches daher durchaus auch als Symptom eines gewissen Medienversagens beschreiben, das seine Ursache in einer nonchalanten Missachtung des Lesers und seiner Lebenswelt hat. So wie man den Erfolg rechtspopulistischer Parteien ja durchaus auch als Symptom des Versagens der etablierten Politik verstehen kann.

Diese Leser, denen Pirinçci ein publizistisches Ventil bietet, hochmütig als dumbe Kerle zu verachten, die halt moralisch zu wenig gefestigt seien, um die Segnungen der multikulturellen Bereicherung zu behirnen, wie das im Justemilieu nicht unüblich ist, hätte freilich vor allem eine Konsequenz: dass sich Pirinçcis Buch noch besser verkaufen wird.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.04.2014)

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