Ja, ja - Europa im Herzen, aber die Euros am Konto

Martin Schulz, sozialdemokratischer Präsident des EU-Parlamentes, bezieht zu seinem komfortablen Gehalt noch fast 10.000 Euro netto monatlich an "Tagesgeld".

Sind 304 Euro eigentlich viel Geld? Kommt drauf an: für einen durchschnittlichen österreichischen Pensionisten oder auch im Prekariat darbenden jungen Menschen eher schon. Für einen der über 700 Abgeordneten des europäischen Parlamentes hingegen ist das eher eine Art Trinkgeld. Denn 304 Euro netto bekommen, wie jüngst die ARD berichtete, die Abgeordneten zusätzlich zum Gehalt für jeden Sitzungstag des Parlaments als „Tagesgeld“. Und zwar nicht nur steuerfrei, sondern auch ohne jede Verpflichtung, über die Verwendung der Gelder Rechenschaft geben zu müssen.

Wer hingegen als normaler österreichischer Steuerzahler dienstlich einen Tag in Brüssel verbringt und am nächsten Morgen zurückfliegt, kann dafür übrigens knapp 60 Euro an „Tages- und Nächtigungsgeld“ verrechnen, wenn er keine Rechnungen beibringen will. Unter sozialen Aspekten ist das nur zu verständlich: Schließlich müssen sich die Damen und Herren Abgeordneten mit einem Grundgehalt von schlappen 8000 Euro, zuzüglich recht ansehnlicher Nebengeräusche und Spesenvergütungen aller Art, über die Runden bringen.

Darum müssen wir wirklich verstehen, dass die Parlamentarier diese kargen Bezüge mit 304 Euro netto für jeden Arbeitstag in Brüssel oder Straßburg aufbessern. Und das entgegen einem weit verbreiteten Vorurteil höchst unbürokratisch und ohne komplizierte Zettelwirtschaft: Rechnungen sind nicht notwendig, um an die Kohle zu kommen.

Ganz besonders unbürokratisch wird vom europäischen Steuerzahler der sozialdemokratische Parlamentspräsident Martin Schulz vor dem Schicksal der unverschuldeten Armut bewahrt: Ihm steht das Tagesgeld auch für jene Tage zu, an denen nicht getagt wird, also automatisch an 365 Tagen im Jahr. Das bringt ihm 110.000 Euro netto im Jahr, natürlich zusätzlich zu seiner stattlichen Gage als Präsident des Parlaments. Kein übler Deal.

Gerade in Zeiten lahmender Wirtschaft macht das natürlich volkswirtschaftlich Sinn. Die deutsche Abgeordnete Inge Gräßle etwa erklärte: „Ich brauche das Tagesgeld auch nicht ganz, aber ich lade dann ab und zu meine Mitarbeiter ein und dann machen wir eine Sause (...) Die Sause ist regelmäßig drin. Klar.“ Und der britische Europaabgeordnete Chris Davis bekannte, er habe sich von dem Tagesgeld im Laufe der letzten 15 Jahre eine schmucke Eigentumswohnung in Brüssel kaufen können.

Gleich ob Sause oder Immobilien – mit Hilfe der aufopferungsvollen Abgeordneten werden so Arbeitsplätze am Bau oder in der Gastronomie gesichert, ein wertvoller Beitrag zur Bekämpfung der schlimmen Jobkrise in Europa also. Nur Kleingeister werden da einwenden, dass den Europarlamentariern möglicherweise zumutbar wäre, für die ihnen entstandenen Kosten so etwas wie Belege beizubringen, was ja auch im normalen Leben nicht gerade unüblich sein soll; selbst wenn es sich dabei um so marginale Beträge wie die 110.000 Euro netto an „Tagesgeld“ pro Jahr für den Parlamentspräsidenten handelt.

Nun könnte man angesichts der letztlich in Summe überschaubaren Summen, um die es da geht – zumindest im Vergleich zu vielem anderen Unfug, den sich die EU da und dort leistet – resigniert zur Tagesordnung übergehen und das gleichsam als Kollateralkosten einer sich langsam entwickelnden parlamentarischen Demokratie in Kauf nehmen, gleichsam als kleineres Übel. Könnte man, sollte man aber nicht.

Denn dieser unangemessen nonchalante Umgang mit Steuergeld ausgerechnet durch die Abgeordneten spielt direkt in die Hände all jener, die das europäische Parlament als unnütze Quatschbude lieber heute als morgen abschaffen wollen. Ein europäisches Parlament, das gerade angesichts hoher Arbeitslosigkeit und sinkender Kaufkraft in vielen Gegenden Europas dermaßen unverfroren mit dem Geld seiner Arbeitgeber – der Wähler – umgeht, beweist damit nicht nur eklatanten Realitätsverlust, sondern delegitimiert sich letztlich selbst.

E-Mails an:debatte@diepresse.comZum Autor:

Christian Ortner ist Kolumnist und Autor in Wien. Er leitet „ortneronline. Das Zentralorgan des
Neoliberalismus“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.05.2014)

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