Die Selbstgerechtigkeit der österreichischen Neutralität

In den drei gefährlichsten Konflikten dieses Kriegssommers 2014 - Ostukraine, Gaza, Irak - hat sich Österreich außenpolitisch nicht gerade mit Ruhm bekleckert.

Würde morgen in Österreich eine Volksabstimmung über die Beibehaltung oder die Abschaffung der Neutralität stattfinden, so plädierten wahrscheinlich mindestens zwei von drei Österreichern für die Aufrechterhaltung dieser alpenländischen Institution. Dass der Sommer 2014 ein ziemlich blutiger geworden ist, dürfte diese Haltung noch deutlich gefestigt haben.

Neutral zu sein vermittelt in diesen unguten Zeiten ein diffuses Gefühl von Sicherheit. Und zu vermuten ist: Je kriegerischer sich die Geschichte weiterentwickelt, um so inniglicher wird sich dieses Land an seine Neutralität klammern. Menschlich mag das bis zu einem gewissen Grad verständlich sein. Mit Anstand und Redlichkeit hat diese Haltung freilich nicht viel zu tun. Sie entspringt vielmehr einer hierzulande weitverbreiteten Unlust, in einem Konflikt Stellung zu beziehen, Partei zu ergreifen und allenfalls die daraus notwendigen Konsequenzen zu ziehen, selbst dann, wenn die nur mäßig vergnüglich sind.

Das erklärt zum Teil auch die nicht eben rasend rühmliche Rolle, die Österreich in den gefährlichsten Konflikten dieses Kriegssommers 2014 spielte: dem Krieg in der Ukraine, jenem der Hamas gegen Israel sowie dem Genozid-Feldzug des islamofaschistischen Terrorkalifats gegen den Rest der nahöstlichen Welt. In keinem dieser Konflikte bezog das offizielle Österreich schnell, unmissverständlich und konsequent Position.

Da wurde Putin in Wien noch ein höchst peinlicher und völlig rückgratbefreiter Empfang zuteil, während die westliche Welt sich gegen die russische Aggression zu wehren begann; da vermied es die Wiener Regierung konsequent, sich angesichts des Raketenterrors der Hamas an die Seite Israels zu stellen; und selbst angesichts der Blutbäder, die der Islamische Staat im Irak und Syrien anrichtet, taumelte die Wiener Regierung tagelang zwischen der abseitigen Position, keine Waffenlieferungen an die Gegner der Islamofaschisten zulassen zu wollen, und einem lustlosen Befürworten dieser Selbstverständlichkeit hin und her, während etwa Tschechien bereits Waffenlieferungen an die Kurden ankündigte.

Das mag vielleicht dem Geist der Neutralität entsprechen, ist aber kein Grund, sonderlich stolz auf diese Haltung zu sein. Denn die Vorstellung, dem Islamischen Staat gegenüber sei so etwas wie Neutralität möglich, ist nachgerade obszön. Der Hamas neutral gegenüberzustehen, wäre nicht weniger unanständig. Und auch gegenüber jenen, die Passagierflugzeuge vom Himmel holen, wäre eine solche Position eher unangemessen.

Dass Österreich stets schnell „humanitäre Hilfe“ zu leisten bereit ist, klingt zwar herzig, dient aber vor allem dazu, diese Politik des Abseitsstehens notdürftig zu camouflieren. Humanitäre Hilfe ist ja sehr nett, hilft aber erfahrungsgemäß jenen wenig, die von Islamofaschisten massenweise exekutiert und lebendig begraben werden.

Nicht eben anständiger wird diese Haltung dadurch, dass Österreich den dreckigen und undankbaren Job, der Gewalt wenn nötig mit militärischer Gewalt entgegenzutreten, zwar im Ernstfall regelmäßig gern den Amerikanern überlässt, aber gleichzeitig bei jeder Gelegenheit die vermeintliche Anmaßung der USA beklagt, als „Weltpolizist“ aufzutreten.

Einen Weltpolizisten wiederum, der so tickt wie das neutrale Österreich, möchte man sich eher nicht so gern vorstellen. Neutral zu bleiben, wenn nur militärische Gewalt Abhilfe schaffen kann, ist daher eine überaus problematische Position. „Wer passiv zusieht, überlässt andere ihrem schrecklichen Schicksal“, urteilte jüngst der nicht eben besonders bellizistische deutsche „Spiegel“. „Die fundamentalistischen Gegner militärischer Interventionen können sich daher ihre Selbstgerechtigkeit sparen.“

Das gilt auch für die Selbstgerechtigkeit jener hierzulande, die Österreichs Neutralität für eine Art moralischen Hochstand halten, den zu beziehen klare Haltungen und deren gelegentlich unangenehme Konsequenzen ersetzen kann.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

Zum Autor:

Christian Ortner ist Kolumnist und Autor in Wien. Er leitet „ortneronline. Das Zentralorgan des
Neoliberalismus“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.08.2014)

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