Was hat der Islam eigentlich mit dem Islam zu tun?

Brutal ausgegrenzt und an den Rand gedrängt: Jungen Muslimen in Österreich bleibt ja angeblich gar nichts anderes über, als Jihadist zu werden. Oder?

Was, fragt sich das Land seit Wochen eher ratlos, bringt eigentlich junge österreichische Muslime aus Favoriten dazu, nach Syrien zu reisen, um dort Krieg gegen Ungläubige zu führen? Carla Amina Baghajati, Sprecherin der Islamischen Glaubensgemeinschaft (übrigens selbst eine Konvertitin) hat darauf eine nicht unoriginelle Antwort: „Nicht die Religion“ Islam sei Ursache dieser Entwicklung, sondern „das Ausgrenzen dieser jungen Menschen, die keine Perspektiven für ihre Leben haben und an den Rand gedrängt werden“ („Im Zentrum“, 14.9.).

Wer aber grenzt diese jungen Menschen eigentlich aus, wer sorgt dafür, dass sie keine Perspektiven haben und an den Rand gedrängt werden? Offenbar kann nur die mit mangelnder interkultureller Empathie ausgerüstete nicht islamische Mehrheitsgesellschaft die Ursache für all das schreckliche Leid sein, das jungen Muslimen hierzulande offenbar angetan wird und das ihnen keine andere Wahl lässt, als in den Schlachtfeldern Syriens endlich Perspektiven zu finden und sich nicht mehr ausgegrenzt zu fühlen. Eine kleine Enthauptung hier, eine kleine Kreuzigung da, und schon fühlt man sich wertgeschätzt und angenommen.

Mit einem Wort: Nicht die Religion und nicht ein mittelalterlicher Wertekanon in Teilen des migrantischen Milieus ist die Geschäftsgrundlage des modernen europäischen Jihadismus, sondern die hiesige Leitkultur westlicher Prägung. Wir sind schuld, wer sonst.

Dass die Täter in Wahrheit Opfer sind, ist eine Theorie, die unter westlichen linken Intellektuellen weit verbreitet ist (außer natürlich, wenn die Täter Rechtsextreme sind). Der bekannte deutsche Islamwissenschaftler Reinhard Schulze hat uns jüngst erklärt, einer der vier muslimischen Attentäter, die 2005 ein Massaker in der Londoner U-Bahn angerichtet haben, sei vorher in einer Diskothek von einer weißen Britin abgewiesen worden, was Grundlage seines „Ressentiments“ gegen „den Westen“ geworden sei und zu dem Terroranschlag geführt habe. Die Gewaltaffinität junger Muslime, so eine einschlägige Studie, gehe „auf eigene Erfahrungen von Gewalt und emotionaler Vernachlässigung in der Kindheit zurück“. Und jene ultrabrutalen Gewaltvideos, mit denen sich manche jungen Muslime gerne aufgeilen, sind „ [...] die ultimative Form von Protest, Rebellion und Aggression gegenüber der Welt, mit der sie unzufrieden sind“, wie jüngst Jochen Müller, ein anderer deutscher Islamexperte, erläuterte.

Wir verstehen: Wenn islamophobe Schlampen in der Disco jungen Muslimen einen Korb geben oder wenn muslimische Eltern ihre Kinder nicht ausreichend antiautoritär erziehen, bleibt den dermaßen traumatisierten Männern einfach nichts anderes übrig, als den ehrbaren Beruf des Jihadisten zu ergreifen. Schon allein deswegen, weil man dann vor Ort Frauen, mit denen man sexuell zu verkehren wünscht, nicht mehr so blöd anlabern muss, sondern sie vergewaltigen kann, ohne schief angeschaut zu werden.

Dieser therapeutische Ansatz der zahlreichen europäischen Jihad-Versteher gebiert natürlich entsprechende Lösungsansätze. „Soziale Präventionsarbeit“ mahnt Frau Baghajati ein, „Lehrerfortbildung“ und all die anderen Placebos, die gerne verschrieben werden, wenn unangenehme Fakten vernebelt werden sollen.

Und einer dieser Fakten ist: Menschen zelebrieren Blutorgien und Terrorhochämter wie eben jetzt im Islamischen Staat, weil sie es können, weil sie es wollen und weil es ihnen Lust bereitet. Und dass eine „Kriegsreligion“ – wie Elias Canetti in „Masse und Macht“ den Islam charakterisierte – diese destruktive Neigung des Menschen, die von der Kultur nur mühsam eingehegt werden kann, nicht gerade entschärft, ist naheliegend.

Ein anderes Faktum ist: „Nach dem linken Faschismus der Sowjets, nach dem rechten Faschismus der Nazis ist der Islamismus der Faschismus des 21. Jahrhunderts“, so der niederländische Autor Leon de Winter. Diesem Faschismus wird man nicht mit den Methoden der Lehrerfortbildung, des runden Tisches und der interreligiösen Dialoge Herr werden können.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

Zum Autor:

Christian Ortner ist Kolumnist und Autor in Wien. Er leitet „ortneronline. Das Zentralorgan des
Neoliberalismus“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.09.2014)

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