Der verzweifelte Kampf des Mittelstandes gegen den Absturz

Das berufliche Hamsterrad dreht sich immer schneller – und trotzdem kommen Sie immer langsamer voran? Da sind Sie nicht der Einzige.


Ein Gefühl geht um in diesem Land, und es ist ein ungutes Gefühl. Es ist das Gefühl, sich für immer mehr Arbeit und Einsatz immer weniger leisten zu können, immer schneller im Hamsterrad des Erwerbslebens laufen zu müssen und dabei immer langsamer voranzukommen, immer weniger Sicherheit und immer mehr Ungewissheit zu verspüren und, vor allem, dieser Entwicklung zum Schlechteren nichts entgegensetzen zu können; weder durch ein politisches Engagement – bei wem auch, bitte? – noch durch individuelle Ertüchtigung.

Noch mehr arbeiten, um den Lebensstandard halbwegs zu halten – das ist für die meisten die einzige greifbare Methode, um das langsame Abrutschen vom Plateau des sogenannten Mittelstandes in die Abgründe der unteren sozialen Schichten zu verhindern.

Es ist dies ein Gefühl, das sich freilich nur unter einem Teil der Bevölkerung dieses Landes vermehrt: nämlich den unselbstständig Beschäftigten der marktexponierten Sektoren der mittelständischen Privatwirtschaft, kleine und mittlere Gewerbetreibende, Selbstständige und Ein-Personen-Unternehmen mit überschaubaren Gewinnen. Sie alle spüren, dass es immer schwieriger wird, den erarbeiteten Lebensstandard zu halten; von einer spürbaren Verbesserung angesichts der seit fünf Jahren sinkenden Reallöhne ganz zu schweigen.

Die Politik hält dieser Befindlichkeit eine Inflationsrate entgegen, die nur dann ernst zu nehmen ist, wenn man sich hauptsächlich von Flat-Screen-Fernsehern ernährt, sodann eine Arbeitsmarktstatistik, die kosmetisch behandelt ist wie die späte Liz Taylor, schließlich die Aussicht auf eine Steuerreform, die nach menschlichem Ermessen mehr als bescheiden dimensioniert werden wird. Danke, pflanzen können wir uns selber.

Von der Politik, das spüren diese Menschen glasklar, haben sie sich nichts zu erwarten außer weiteren Belastungen. Es ist ja gerade die Politik der regierenden SPÖVP samt „eingebetteten“ Sozialpartnern, die an diesem Missstand in erheblichem Maß mitschuldig sind. Denn über Jahrzehnte hat dieses politische Kombinat die wirtschaftlichen Interessen der ihr affiliierten Angehörigen geschützter Bereiche – von den staatsnahen Unternehmen über den öffentlichen Dienst und die Sozialversicherungen bis hin zur Landwirtschaft, ÖBB und ORF – vertreten, jene der exponiert und unter Wettbewerbsbedingungen arbeitenden Angestellten und Selbstständigen hingegen eher nonchalant missachtet.

Das war kein allzu großes Problem, solange die Wirtschaft kräftig brummte und die Konjunktur alle Boote gleichzeitig nach oben hob. Doch diese fröhliche Ära ist vorbei. Zu befürchten ist, dass Japans Vergangenheit unsere Zukunft ist: lange Zeiten ohne Wachstum und mit langsam sinkenden Realeinkommen. Deshalb wird plötzlich gut sichtbar, wie stark sich die wirtschaftliche Situation und damit letztlich das Lebensgefühl der ungeschützt dem Wettbewerb Ausgesetzten einerseits und der Bewohner der staatlich geschützten Werkstätten andererseits auseinanderentwickelt hat.

Gerade in der zahlenmäßig dominierenden Generation der Babyboomer können die einen dank staatlicher Protektion langsam einem vergoldeten Ruhestand entgegensehen, während die anderen übellaunig den verdrießlichen Umständen der gehobenen Altersarmut entgegenblicken. Es ist nicht zuletzt diese als grobe Ungerechtigkeit empfundene Zwei-Klassen-Konfiguration, die den Abwehrkampf des Mittelstandes so frustrierend gestaltet. Selbst wenn sie wollte (sie will eh nicht), könnte die Politik den Druck, der auf diesem exponierten Teil des Mittelstandes lastet, nicht von heute auf morgen beseitigen.

Doch sie könnte wenigstens den Druck auf alle mehr oder weniger gleich verteilen, indem sie die Festungen der staatlich geschützten Businessclass-Bediensteten schleift. Wenn alle im gleichen Hamsterrad immer schneller laufen müssen, kommt zum Hohn nicht wenigstens auch noch der Spott.

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Zum Autor:

Christian Ortner ist Kolumnist und Autor in Wien. Er leitet „ortneronline. Das Zentralorgan des
Neoliberalismus“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.10.2014)

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