Ein wirtschaftliches Gegenstück zu Bachblüten und Globuli

Arbeitszeitverkürzung, oder: Warum die Annahme, uns ginge die Arbeit aus und müsse daher gerecht auf alle verteilt werden, ein ziemlicher Blödsinn ist.

Wenn Krankheiten mit den Methoden der Medizin nicht heilbar sind, schlägt nicht selten die Stunde der Quacksalber, die dem Patienten vorgaukeln, seine Leiden mit Globuli oder anderem Unfug lindern zu können. In der Wirtschaftspolitik ist derzeit Ähnliches zu beobachten. Weil sich die Zahl der Arbeitslosen hierzulande mittlerweile zügig der 500.000er-Marke nähert, ohne dass Besserung in Sicht wäre, schlägt nun die Stunde der Voodoo-Ökonomen.

Wenn wir alle weniger arbeiten würden, wird von Teilen der SPÖ, aber auch von vulgär-keynesianisch inspirierten Kommentatoren versprochen, wären Vollbeschäftigung und Wohlstand für alle die Folge. Arbeitszeitverkürzung nennt sich dieses wirtschaftspolitische Pendant zur Bachblütentherapie. Obwohl relativ leicht erkennbar ist, dass „weniger arbeiten“ zum Generieren von Wohlstand ungefähr so tauglich ist wie das massenhafte Herstellen und Verteilen bunt bedruckter Zettel (was die Notenbanken derzeit probieren), erfreut sich diese Art ökonomischer Hütchenspielerei steigender Beliebtheit.

Erst unlängst hat auch die einflussreiche Gewerkschaft der Privatangestellten eine Verkürzung der Arbeitszeit gefordert, „natürlich bei vollem Lohnausgleich“, übrigens ein eher origineller Beitrag zur Stärkung der kränkelnden Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Wirtschaft. Auch die von SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder gewünschte sechste Urlaubswoche für alle folgt dieser Unlogik.

Hinter der Forderung, die Arbeit auf mehr Köpfe aufzuteilen, steckt eine auf den ersten Blick halbwegs plausibel erscheinende These: dass nämlich durch die stetig steigende Produktivität der Wirtschaft immer weniger Beschäftigte notwendig seien, um die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen zu befriedigen. Salopp gesagt: Uns geht die Arbeit aus. Darauf reagiert der überzeugte Planwirtschaftler natürlich mit Rationierung: Wenn die Arbeit knappes Gut wird, muss sie eben auf alle so aufgeteilt werden, dass jeder ein bisschen davon abkriegt. Ein solches Konzept im 21. Jahrhundert zu vertreten sagt wohl mehr über jene aus, die es vertreten, als in irgendeiner Form der Realität gerecht zu werden.

Die lehrt uns nämlich, dass uns die Arbeit zumindest in diesem Jahrtausend nicht im Geringsten ausgehen wird; vermutlich wird sie das überhaupt nie. Denn solang kühne Innovatoren, geniale Erfinder und risikofreudige Financiers nicht aufhören, völlig neue Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln, die den Menschen das Leben angenehmer, unterhaltsamer, gesünder oder auch nur einfach leichter machen, wird die Nachfrage danach entstehen und wachsen, natürlich verbunden mit dem Entstehen entsprechender Arbeitsplätze.

Arbeitsplätze übrigens, deren Charakter man sich vor wenigen Jahrzehnten nicht annähernd hätte vorstellen können. Oder wie würde man einem Erwachsenen des Jahres 1985 erklären, was eigentlich ein App-Entwickler so treibt? Allein jene Innovationen, die rund um das Smartphone heraus gediehen, haben im vergangenen Jahrzehnt viele Millionen Arbeitsplätze geschaffen.

Ein Ende dieses Prozesses ist dabei nicht absehbar. Naheliegend ist vielmehr, dass auch in Zukunft regelmäßig Innovationen, die wir uns noch gar nicht vorstellen können, neue und genauso unvorstellbare Produktgruppen hervorbringen, die entsprechende Arbeit generieren. Wenn in Japan 2014 erstmals mehr Windeln für Greise als für Babys verkauft wurden, so mag man das traurig finden – es zeigt aber auch, wie Innovationen neue Nachfrage hervorbringen.

Anzunehmen, die Arbeit würde uns ausgehen, ist deshalb ähnlich absurd wie die im 18.Jahrhundert vom damals prominenten Ökonomen Thomas Malthus vertretene These, der wachsenden Bevölkerung würde die Nahrung ausgehen oder der im 20. Jahrhundert beliebten Peak-oil-Theorie, wonach das Erdöl Mangelware würde. Das Einzige, was uns wirklich auszugehen droht, ist die ökonomische Vernunft.

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Zum Autor:

Christian Ortner ist Kolumnist und Autor in Wien. Er leitet „ortneronline. Das Zentralorgan des Neoliberalismus“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.05.2015)

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