In den rauchenden Trümmern der Willkommenspolitik

Österreich und Deutschland beauftragen und bezahlen die Türkei dafür, wie im Orbán-Ungarn Migranten zu stoppen – noch zynischer geht's nicht.

Während in Wien Anfang der Woche die Regierung in den sich immer klarer abzeichnenden rauchenden Trümmern der Willkommenspolitik noch tapfer die Parole „Ordnung und Menschlichkeit“ ausgab, sorgte an der Außengrenze Süd der EU deren neuer Subunternehmer für Migranten-Abwehr, der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan, tatsächlich für ein wenig Ordnung.

Mehr als 250 türkische Polizisten verhafteten im Morgengrauen in der Nähe des westtürkischen Ferienortes Ayvacik etwa 1300 Migranten beim Versuch, auf Booten die nahe gelegene griechische Insel Lesbos und damit EU-Territorium zu erreichen, wie das in den vergangenen Monaten hunderttausende gemacht hatten, ohne dabei behelligt zu werden. Am Montag jedoch setzte die türkische Exekutive die verhinderten Migranten aus Syrien, dem Irak, Iran und Afghanistan fest, verbrachte sie in ein Abschiebezentrum und wird sie von dort gegebenenfalls in ihre Heimatländer zurückschicken, auch gegen ihren Willen.

Die Aktion der Türken war natürlich unmittelbare Folge jenes schmutzigen Deals, den die EU unter der Führung der deutschen Kanzlerin jüngst mit der Türkei abgeschlossen hat. Gegen Geld, die Erleichterung des EU-Visaregimes für türkische Staatsbürger und ein widersinniges Reanimieren der türkischen Beitrittsverhandlungen hat sich Herr Erdoğan bereit erklärt, die Grenzen zum Schengenland (sprich Griechenland) endlich zu sichern und damit die Migrationswelle nach Norden zumindest einzudämmen.

Heißt: Die Türkei wird von Deutschland, Österreich und den anderen EU-Staaten beauftragt und bezahlt, das zu tun, was Ungarns Viktor Orbán schon im Sommer begonnen hat – nämlich die EU-Außengrenzen robust zu sichern und zu kontrollieren und damit die illegale Einwanderung zu bremsen.

Das ist an Zynismus und Doppelbödigkeit nur schwer zu überbieten. Jener österreichische Kanzler, der Orbán für dessen Grenzsicherungsmaßnahmen im Sommer noch als kalten Unmenschen denunzierte und törichte Assoziationen mit dem Holocaust absonderte, trägt nun gegenüber der Türkei genau jene Politik mit, die er Orbán mit ganz großem Pathos zum Vorwurf gemacht hat.

Doppelbödig ist das, weil der Deal mit den Türken es den Regierungen in Wien und Berlin noch ein Stück weit ermöglicht, die alberne Pose der moralischen Überlegenheit gegenüber den willkommenskulturell minderbegabten Barbaren in Ungarn, Polen, dem Baltikum oder auf den britischen Inseln aufrechtzuerhalten. Indem die Drecksarbeit an die Türken delegiert wird, kann sich die Politik in Berlin wie in Wien weiter für ihren vermeintlichen Humanitätsanspruch selbst auf die Schulter klopfen.

Ebenso interessant wie aufschlussreich war in diesem Zusammenhang auch die Reaktion des „Welcome-Refugee“-Milieus und seiner zahlreichen „eingebetteten“ Medienmenschen, die noch vor wenigen Wochen angesichts der zu uns strömenden Menschenmassen in euphorische Verzückung geraten waren.

Doch dass nun „Schutzsuchende“ einfach daran gehindert wurden, illegal in die EU einzureisen und auch noch in Abschiebelager verbracht werden, löste in diesem Milieu, wo sonst schon die bloße Erwähnung eines Zaunes zu mentaler Schnappatmung führt, nur eisiges Schweigen aus. Keine Entrüstungsstürme in den sozialen Medien, keine flammenden Leitartikel wie einst gegen den bösen Viktor Orbán, keine Lichterketten, keine Boykottaufrufe, keine Hobbyschlepper, die Schutzsuchende transportieren – nichts, rein gar nichts.

Wenig bis gar nichts war auch an Klagen darüber zu hören, dass uns die Türkei jetzt den angeblich so notwendigen Zuzug von Ärzten, Facharbeitern und Ingenieuren aus der arabischen Welt abschneidet, der uns bisher als alternativenlose Notwendigkeit erklärt worden ist. „Menschlichkeit und Ordnung“? Wohl eher politischer Zynismus und blanke Doppelbödigkeit, die da sichtbar werden.

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Zum Autor:

Christian Ortner ist Kolumnist und Autor in Wien. Er leitet „ortneronline. Das Zentralorgan des Neoliberalismus“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.12.2015)

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