Die Mitschuld der Medien am Willkommenskarneval, Teil II

Michael Fleischhacker, der frühere Chefredakteur der „Presse“, fand mein letztwöchiges „Quergeschrieben“ an dieser Stelle „unbehaglich“. Eine Replik.

Geschätzter Michael Fleischhacker, es betrübt mich sehr, dass Du nach Lektüre meines letztwöchigen Kommentars („Die Mitschuld der Medien am verrückten Willkommenskarneval“) nicht nur „Unbehagen“ und „Irritation“ verspürt hast, sondern diese unerquicklichen Emotionen offenbar intensiv genug waren, dass Du sie Deinen Lesern in einem ausführlichen Text unter dem Titel „Trostpreisträger“ zur Kenntnis bringen musstest.

Nun, ich hoffe, es hat Dir Erleichterung gebracht und fühlst Dich mittlerweile wieder pudelwohl. Mir ist das trotzdem irgendwie unangenehm, denn erstens soll man bei seinen Lesern eher Behagen als Unbehagen auslösen; zweitens ist es besonders schade, weil Du in Deinem Text ja schreibst: „Ich teile Christian Ortners Grundthese. Sehr viele Medien, allen voran die öffentlich-rechtlichen, haben, als sie sich im vergangenen Herbst auf aktivistische Weise zu Anwälten und Unterstützern des zivilgesellschaftlichen Engagements für durchreisende (Österreich) und ankommende (Deutschland) Flüchtlinge machten, einen schweren Fehler begangen. Standesethisch und politisch. Sie haben ihre Glaubwürdigkeit und Unabhängigkeit aufs Spiel gesetzt, weil der Gewinn, den sie sich von diesem Hasard erwarteten, so verlockend erschien[. . .].“ Und weiter: „Inzwischen, auch an diesem Punkt hat Christian Ortner recht, wird medial zurückgerudert [. . .]. Gut so.“

Das freut mich, weil Du ja nicht eben als jemand bekannt bist, der Kollegen über Gebühr die Gnade deiner Zustimmung zukommen lässt. Was aber ist dann die Ursache Deines Unbehagens gewesen? Dies: „Es ist die Unerbittlichkeit der Forderung nach öffentlicher Aufarbeitung des Versagens [. . .]. Was will er eigentlich? Einen Nürnberger Willkommenskulturverbrecherprozess?“

Mir scheint, dass Du da einer landestypischen Dysfunktionalität zum Opfer fällst: der Neigung, das Einmahnen von Konsequenzen als „Unerbitterlichkeit“ zu diskreditieren und die ebenso verbreitete Neigung, ausbleibende Konsequenzen resigniert hinzunehmen. So nach der Devise „Mir wer'n kan Richter brauchen, mir wer'n an Trichter rauchen“.

Sagen wir es so: Wenn irgendwo ein Hochgeschwindigkeitszug entgleist und dabei Menschen zu Schaden kommen, wird regelmäßig a) die Ursache erforscht, b) werden Maßnahmen gesetzt, die dergleichen künftig vermeiden helfen sollen. Nicht mehr und nicht weniger habe ich von der Medienindustrie erbeten: „Gerade den öffentlich-rechtlichen Leitmedien – aber nicht nur ihnen – stünde es gut an, ihre Teilhabe am willkommenskulturellen Karneval einmal aufzuarbeiten und plausibel zu machen, wie sie zumindest eine Wiederholung dieses partiellen Versagens hintanhalten wollen.“

Ist das wirklich so „unerbittlich“? Ist das tatsächlich die Forderung nach einem Nürnberger „Willkommenskulturverbrecherprozess“, wenn man für wünschenswert hält, was jeder banale Autohersteller macht, wenn es einen Fehler gegeben hat, nämlich, dessen Ursache zu finden und künftig auszuschließen?

Warum soll das plötzlich eine „irritierende“ und „Unbehagen“ auslösende Zumutung sein, nur weil es um jene Branche geht, in der Du und ich unseren Lebensunterhalt verdienen? Unsere Leser werden das nicht verstehen, fürchte ich. Ich fürchte weiters: Wenn das schon „Unerbittlichkeit“ ist, dann brauchte dieses Land eher etwas mehr von dieser Unerbittlichkeit. Denn gerade in der Politik wie auch in den öffentlich-rechtlichen Medien ist von diesem Prozess der Läuterung durch Fehleranalyse und anschließenden Konsequenzen eher zu wenig zu sehen. (In der Politik hast Du dieses Versagen immer wieder und immer zu Recht hart kritisiert.)

Rechthaben, schreibst Du, sei der „Trostpreis im Leben“. Eher nur im österreichischen Leben, in dem weitgehend folgenlos bleibt, wer recht gehabt hat und wer nicht. Aber auch das zu konstatieren wird Dir vielleicht Unbehagen bereiten, also lass ich es lieber. Dein Christian.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zum Autor:

Christian Ortner ist Kolumnist und Autor in Wien. Er leitet „ortneronline. Das Zentralorgan des
Neoliberalismus“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.01.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.