Das Problem, das Werner Faymann und Hillary Clinton zugleich haben

Wer so opportunistisch agiert wie der SPÖ-Vorsitzende in der Migrationskrise, erwirbt damit beim Publikum so viel Vertrauen, wie er verdient: nämlich keines.

Es war ein überschaubar appetitlicher Anblick, den die österreichische Sozialdemokratie in den vergangenen Wochen bot, in denen sie sich vom Betreiber der Willkommenskultur zur hartleibigen Zaunpartie verwandelte und plötzlich nichts dabei fand, dass an der Staatsgrenze Süd ein Pandur-Schützenpanzer des sozialdemokratischen Verteidigungsministers die Refugees mit seinem Kanonenrohr willkommen hieß.

Irgendwie stellt sich angesichts dieser Entsorgung einer als politisch inopportun erkannten Position und deren Austausch gegen das hundertprozentige Gegenteil schon die Frage, ob die Sozialdemokratie eigentlich noch über irgendwelche Werte verfügt, die unverhandelbar sind. Wer in einer so fundamentalen Frage so opportunistisch agiert, erzeugt nicht eben den Eindruck, noch über Überzeugungen zu verfügen – außer jener, die verbliebene politische Macht um jeden Preis zu erhalten. (Dass im ORF in diesem Kontext stets vom „rechtspopulistischen Viktor Orbán“ die Rede ist, aber absolut nie vom „linkspopulistischen Werner Faymann“, ist ein klassischer Fall von elektronischer Lückenpresse.)

Nun ist Lernfähigkeit ja auch in der Politik durchaus tugendhaft – nur deutet leider nichts darauf hin, dass der brutale Schwenk Faymanns und seiner Partei einem Erkenntnisgewinn geschuldet sei. Interessant wird werden, ob sich der Verrat der Sozialdemokratie an der Willkommenskultur wenigstens politisch auszahlen wird, die Massenflucht schutzsuchender SPÖ-Wähler zur FPÖ also mittels dieser Volte hintangehalten werden kann. In der Vergangenheit hat es ja überschaubar gut funktioniert, wenn SPÖ (oder teilweise auch die ÖVP) jene Positionen der FPÖ, die sie jahrelang als übles Nazi-Zeugs denunziert hatten, schließlich klammheimlich geklaut haben.

Das liegt vermutlich nicht zuletzt daran, dass ein derart opportunistisch getriebenes Nachdackeln die letzten Spurenelemente politischen Vertrauenskapitals vernichtet. Wer dermaßen beliebig und wertebefreit agiert, der bekommt so viel Vertrauen, wie er verdient – nämlich ganz genau keines. Der Linkspopulist Werner Faymann hat da ein ähnliches Problem wie die demokratische Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton.

Auch sie rekalibriert ihre politische Meinung laufend – und zwar so, wie es die von ihr flächendeckend in Auftrag gegebenen Umfragen nahezulegen scheinen. Mit dem Ergebnis, das sie mittlerweile vielen Wähler als zutiefst unglaubwürdig gilt. Und dieses Problem, hat es sich einmal festgefressen, kann ein hyperopportunistischer Politiker nicht mehr dadurch ändern, dass er oder sie abermals die Meinung ändert. Dieses Problem ist im Grunde nur mehr durch Rücktritt zu sanieren.

Das gilt natürlich auch hierzulande für alle, die in den vergangenen Monaten eine klar gegen das nationale Interesse Österreichs gerichtete Migrationspolitik zu verantworten haben und jetzt, fünf nach zwölf, zu retten versuchen, was zu retten ist – allen voran ihre eigenen Pfründen. Natürlich wird diese politische Katharsis Fiktion bleiben. Denn die beiden regierenden Parteien sind ja längst von Überzeugungsgemeinschaften zu reinen Jobvermittlungs- und Joberhaltungsagenturen für anderweitig oft schwer vermittelbares Personal verkommen.

Welchen Preis sie dafür zu entrichten bereit sind, zeigt die SPÖ ja dankenswerterweise gerade öffentlich vor. Ihre wichtigste Funktion ist, das leitende Personal und dessen Gefolgschaft vor dem unfreiwilligen Ausscheiden aus diesen Positionen zu bewahren. Deswegen wäre es völlig widernatürlich, würde etwa die SPÖ den Versuch unternehmen, das angesichts ihres Versagens in Zeiten der Völkerwanderung verloren gegangene politische Kapital nun durch einen Rücktritt des Vorsitzenden und anderer Verantwortungsträger zurückzugewinnen.

Die Partei beraubte sich mit einem derartigen Mord nämlich ihres einzigen noch existierenden Daseinszweckes. Das aber kann man wirklich nicht erwarten.

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Zum Autor:

Christian Ortner ist Kolumnist und Autor in Wien. Er leitet „ortneronline. Das Zentralorgan des
Neoliberalismus“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.02.2016)

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