„Her mit dem Zaster!“: Die (W)irrungen der Maria Vassilakou

Die grüne Wiener Vizebürgermeisterin forderte zuletzt einen „Marshallplan“ für Flüchtlinge. Bloß: Was soll da überhaupt wiederaufgebaut werden?

Der Wiener Vizebürgermeisterin, Maria Vassilakou, verdanken wir eine interessante soziologische Erkenntnis. Angesprochen auf den ungebrochen massenhaften Zuzug von Asylwerbern nach Wien, erklärte die Grün-Politikerin jüngst apodiktisch: „Menschen wollen sich immer in jene Gesellschaft integrieren, in der sie leben.“ Und zog daraus den Schluss, die aufnehmende Gesellschaft, sprich jene der österreichischen Steuerzahler, müsse dafür ordentlich Geld in die Hand nehmen. „Jetzt fehlt ein ,Marshallplan‘, mit dem diese große Aufgabe zu finanzieren ist“, forderte sie in der „Kronen Zeitung“.

Daran ist zunächst ganz heiter, dass ausgerechnet eine Veteranin der längst entsorgten Wiener Willkommenskultur 2015 die aktuelle Migrationswelle zumindest indirekt mit dem Zerstörungswerk des Zweiten Weltkrieges vergleicht, dessen Wüten bekanntlich Ursache für den Marshallplan zum Wiederaufbau Europas war. Was hingegen in Wien 2016 wiederaufgebaut werden soll, erschließt sich auch den entschiedensten Kritikern der jetzigen Migrationswelle nicht so recht. Aber vielleicht verwendet Vassilakou den Begriff Marshallplan ja auch bloß höchst ahistorisch als Synonym für „viel Geld anderer Leute“.

Gravierender ist die Feststellung der Vizebürgermeisterin, „Menschen wollen sich immer in jene Gesellschaft integrieren, in der sie leben“. Sie verwendet dieses Argument, um das in Wien durchaus resch spürbare Unbehagen von Teilen der Bevölkerung über den Zuzug von Migranten in die Bundeshauptstadt zu diskreditieren. Wer Menschen, die sich „immer“ integrieren wollen, einen „Marshallplan“, sprich Geld, verweigert, wird in dieser politischen Logik zum kalten Unmenschen. Also: Her mit dem Zaster, her mit der Marie, und alle werden integriert.

Diese Behauptung der Frau Vizebürgermeisterin hat freilich einen kleinen intellektuellen Mangel: Sie ist völliger Unfug. Vielleicht sollte sich Frau Vassilakou einmal in jene Gegenden der Bundeshauptstadt chauffieren lassen, in denen türkische Migranten der nun schon dritten, vierten Generation so leben, wie sie in irgendeiner türkischen Stadt leben würden: mit ihrer türkischen Sprache, ihren türkischen Gepflogenheiten, ihren türkischen Geschäften, ihren türkischen Fernsehkanälen via Satellit – und in nicht wenigen Fällen auch mit jenen Werthaltungen, Mindsets und kulturellen Normen, wie sie in der Türkei üblich sind.

Noch weniger integrieren als diese Leute kann man sich nur ziemlich schwer. Woher Vassilakou die Gewissheit nimmt, sie würden sich „immer“ integrieren wollen, wird wohl ihr Geheimnis bleiben müssen. Dass sich Menschen gar nicht integrieren wollen, ist im Übrigen auch weder unüblich noch verwerflich. New York lebt vorzüglich mit Hunderttausenden Chinesen, die es auch nach vielen Generationen vorziehen, weitgehend unter sich zu bleiben, ohne dass daraus irgendein nennenswertes Problem entsteht. Ähnliches ist bei zahllosen Ethnien in vielen Metropolen der Welt zu beobachten – auch die vietnamesische Community in Paris denkt nicht daran, sich zu „integrieren“ – und niemand hat damit Ärger.

Seltsamerweise kommt in diesen Städten auch niemand auf die Idee, einen „Marshallplan“ für deren Integration zu fordern. Es genügt vollkommen, dass die Angehörigen dieser ethnischen Minderheiten sich genauso an die Gesetze halten wie alle anderen, keine kulturellen Vorrechte für sich fordern und im Alltag die Lebensgewohnheiten der Mehrheitskultur einfach respektieren.

Dass Vassilakou offenkundig nicht davon ausgeht, dass die nach Wien strömenden Migranten aus der arabisch-islamischen Welt sich so selbstverständlich in die Mehrheitsgesellschaft einfügen wie Vietnamesen in Frankreich oder Chinesen in den USA, lässt einen schrecklichen Verdacht aufkommen: Haben wir hier es gar mit grüner Xenophobie, ja einem verborgenen islamophoben Rassismus zu tun? Oder aber . . . Moment, nein, das wollen wir doch nicht denken.

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Zum Autor:

Christian Ortner ist Kolumnist und Autor in Wien. Er leitet „ortneronline. Das Zentralorgan des
Neoliberalismus“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.04.2016)

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