Ein Versuch, Donald Trump zu verstehen

Würde Trump Präsident, würde er Europa wohl nicht mehr gratis vor russischer Aggression beschützen. Irgendwie verständlich.

Was noch vor einem Jahr wie ein mittelguter Witz geklungen hat, könnte 2017 Realität sein: dass Donald Trump zum 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika angelobt wird und das Weiße Haus zumindest für die nächsten vier Jahre zu einer weiteren Trump-Immobilie wird. Denn in den neuesten Umfragen liegen der eigenwillige Milliardär und seine wahrscheinliche Kontrahentin, Außenministerin Hillary Rodham Clinton, mehr oder weniger gleichauf. Angesichts des enormen politischen Momentums, mit dem sich Trump vom clownesken Außenseiter, den niemand ernst nahm, zum republikanischen Triumphator entwickelt hat, ist ein Sieg über die höchst unbeliebte Außenministerin durchaus realistisch.

Für die meisten Europäer ist Trumps Aufstieg ein Rätsel, das nur dadurch zu erklären ist, dass in den USA eine Art intellektueller Rinderwahn ausgebrochen ist, der die Bevölkerung dazu bringt, massenhaft einem halb verrückten politischen Gurkenhobel-Verkäufer ihre Stimme zu geben.

Und doch ist eines der zentralen Motive der Trump-Kampagne, nämlich die Forderung nach einem teilweisen Rückzug der USA aus ihrer Rolle als Nuklear-Sheriff der Weltpolitik, nicht eben irrational, sondern durchaus bis zu einem gewissen Grad begründbar. Amerika, argumentiert Trump, garantiere derzeit die Sicherheit von Staaten wie Frankreich, Deutschland und Japan, ohne für diese Dienstleistung finanziell kompensiert zu werden. Wer von den USA beschützt werden will, sagt der Kandidat, möge daher bitte künftig auch für die Kosten aufkommen – oder selbst für seine Sicherheit sorgen. „Wenn Japan militärisch angegriffen wird, dann sind wir vertraglich verpflichtet, mit unseren Soldaten an der Seite der Japaner in den Krieg zu ziehen. Wenn hingegen wir angegriffen werden, dann sind die Japaner zu gar nichts verpflichtet, die können sich einen Angriff auf unser Land in ihren Sony-Fernsehern anschauen, ohne einen Finger zu rühren. Und das ist nicht okay“, bellte er dieser Tage bei einer Wahlkampf-Kundgebung vor Militärveteranen in Kalifornien.

Das ist nicht ganz falsch gedacht. Denn tatsächlich konnte vor allem Westeuropa seinen üppig dotierten Sozialstaat seit dem Kriegsende nicht zuletzt so komfortabel ausbauen, weil die USA den allergrößten Teil der Kosten der Verteidigung des alten Kontinents gegen die Sowjetunion und den Warschauer Pakt getragen haben. (Was übrigens auf Österreich in einem besonders hohen Ausmaß zutrifft).

Salopp könnte man sagen: Europa hat sich, von den USA durchaus billigend geduldet, jahrzehntelang als sicherheitspolitischer Schwarzfahrer durchgeschummelt, und der Geschäftsmann Trump möchte nun wenigstens Fahrscheine verkaufen. Das ist für die Europäer naturgemäß keine erfreuliche, weil bestenfalls kostspielige Aussicht. Aber als Beleg für die Verrücktheit Trumps taugt diese Forderung nicht wirklich, zumindest für Amerikas Steuerzahler.

Aus der Sicht des amerikanischen Joe Normalverbraucher ist wohl immer weniger nachvollziehbar, warum mit seinem Steuergeld zu einem erheblichen Teil die Landesverteidigung der EU, Japans oder Südkoreas finanziert werden soll. Zur Zeit des Kalten Krieges und der großen Systemkonkurrenz mag das noch vermittelbar gewesen sein, heute immer weniger. Dazu kommt, dass nicht wenige Wähler in den USA wesentlich härter um die bürgerliche Existenz kämpfen müssen als ihre Kollegen in Europa – und deshalb immer weniger verstehen, warum sie da noch teure militärische Dienstleistungen gratis zur Verfügung stellen sollen.

Dass Donald Trump in Europa nicht nur, aber ganz besonders im linken politischen Milieu als Bösewicht der Extraklasse gesehen wird, entbehrt in diesem Kontext nicht einer delikaten Pointe. Denn Trump möchte ja, sollte er Präsident werden, im Grunde nur verwirklichen, was Europas politische Linke seit den Tagen des Vietnam-Kriegs zu ihrem zentralen außenpolitischen Mantra erhoben hat – die Forderung „Ami – go home!“.

Wäre eigentlich nur logisch, dass sich schon demnächst ein Unterstützungskomitee „Alt-68er für Trump“ bildet.

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Zum Autor:

Christian Ortner ist Kolumnist und Autor in Wien. Er leitet „ortneronline. Das Zentralorgan des
Neoliberalismus“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.06.2016)

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