Rote Antisemiten sind eben keine Antisemiten

Wer einst für „die Vernichtung lebensunwerten Lebens“ eintrat, wird von der
Stadt Wien bis heute geehrt – bei der richtigen Partei muss er halt gewesen sein.

Einem dringlichen Bedürfnis der Bevölkerung folgend, hat die Stadt Wien nun endlich am Denkmal des legendären Bürgermeisters Karl Lueger (1844–1910) eine Zusatztafel anbringen lassen, aus der hervorgeht, dass sich Lueger zur Durchsetzung seiner politischen Ziele auch des Antisemitismus bediente. Der Kulturstadtrat höchstpersönlich übergab das machtvolle antifaschistische Statement der Öffentlichkeit.
Daraus erkennen wir, dass man im Rathaus eben klug versteht, Prioritäten zu setzen. Statt sich um Marginalien wie Zehntausende direkt ins Sozialsystem einwandernde Migranten, eine horrende Arbeitslosenrate unter jungen Männern, überschießende Wohnungspreise oder ein explodierendes Budgetdefizit zu scheren, geht die rot-grüne Stadtverwaltung eben gezielt und lösungsorientiert jenes Problem an, das den Wienerinnen und Wienern seit Jahren unter den Nägeln brennt wie kaum ein anderes: eben die Anbringung besagter Hinweistafel am Lueger-Denkmal, die erklärt, was nahezu jedem mit einer halbwegs abgeschlossenen Volksschulbildung eh bekannt ist. Nämlich, dass Lueger ein Antisemit war.
Jetzt hoffen wir nur, dass das Rathaus diesen Weg des heroischen Ringens gegen die Kräfte der Finsternis entschieden weitergeht. Dringend notwendig wird da die Anbringung einer erläuternden Tafel etwa am Oskar-Helmer-Hof sein, einem mächtigen Gemeindebau in Wien-Donaufeld, benannt nach einem sozialistischen Innenminister der Nachkriegszeit. Ein Hinweis darauf, dass Herr Helmer einmal im Ministerrat zu Protokoll gegeben hat, er sei dafür, die Restitution von zuvor Wiener Juden geraubtem Hab und Gut „in die Länge zu ziehen“, wäre es gewiss wert, dem Publikum mittels ergänzender Tafel beim Eingang des Gemeindebaus zur Kenntnis gebracht zu werden.
Historische Präzisierungen wie im Fall Lueger wird das Rote Wien zweifellos bald auch am Julius-Tandler-Platz anbringen, benannt nach dem sozialistischen Wiener Politiker und Arzt der Zwischenkriegszeit. Den könnte man auf so einem Taferl einfach für sich selbst sprechen lassen. Etwa mit einem Zitat aus seinem Aufsatz „Ehe und Bevölkerungspolitik“: „Welchen Aufwand die Staaten für völlig lebensunwertes Leben leisten müssen, ist zum Beispiel daraus zu ersehen, dass die 30.000 Vollidioten Deutschlands diesem Staat zwei Milliarden Friedensmark kosten. Bei der Kenntnis solcher Zahlen gewinnt das Problem der Vernichtung lebensunwerten Lebens an Aktualität und Bedeutung. Gewiss, es sind ethische, es sind humanitäre oder fälschlich humanitäre Gründe, welche dagegensprechen, aber schließlich und endlich wird auch die Idee, dass man lebensunwertes Leben opfern müsse, um lebenswertes zu erhalten, immer mehr und mehr ins Volksbewusstsein dringen.“
Wahrscheinlich könnte man so ein ganzes Arbeitsbeschaffungsprogramm für Jugendliche ohne berufliche Qualifikation ins Leben rufen, indem die Stadt Wien nun überall Zusatztafeln an Straßenschildern, Denkmälern und Gebäuden anbringen lässt, die sich auf sozialistische Politiker mit antisemitischen oder sonstwie anstößigen Haltungen hervorgetan haben. Davon hat es nämlich eine durchaus stattliche Zahl gegeben.

Auch der Bruno-Kreisky-Platz, eine hässliche Betonfläche vor der Wiener UNO-City, wird so einer ergänzenden Tafel bedürfen. Mit deren Hilfe wird dem Publikum zu erläutern sein, dass der Namensgeber nicht nur der Pate jener verantwortungslosen Staatsschuldenorgie war, die das Land früher oder später ruinieren wird, sondern auch als politischer Förderer alter Nazis Herausragendes leistete. Etwa, indem er gleich fünf ehemalige Nationalsozialisten in sein Kabinett berief. Als Überschrift für die erläuternde Tafel am Kreisky-Platz könnte ja sein legendäres Zitat „Die Juden sind kein Volk, und wenn sie eines sind, dann ein mieses“ dienen.
Wir sind gespannt, wann die Wiener SPÖ all diese Gedenktafeln zur ja offenbar so dringlich nötigen „Aufarbeitung der Geschichte“ wird anbringen lassen.

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Zum Autor:

Christian Ortner ist Kolumnist und Autor in Wien. Er leitet „ortneronline. Das Zentralorgan des
Neoliberalismus“.

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