Die seltsame Renaissance einer wirklich schlechten Idee

Mal offen deklariert, mal gut getarnt hat der Sozialismus sein Ableben vor mehr als 25 Jahren überlebt – und kommt nun wieder zu Kräften.

Kaum eine andere wirtschaftspolitische Idee ist so offensichtlich und nachhaltig gescheitert wie der Sozialismus. Gleich, in welcher Dosierung er angewendet worden ist, mal hoch konzentriert wie in der Sowjetunion und ihren osteuropäischen Vasallenstaaten bis 1989, mal vergleichsweise niedrig dosiert und mit menschlichem Antlitz wie im Schweden der 1980er-Jahre: Am Ende stand immer ein ökonomisches Scheitern (in Schweden in Form einer Fast-Staatspleite). Und je höher dosiert der Sozialismus, um so spektakulärer das Scheitern. Venezuela, wo die Menschen mittlerweile hungern müssen, obwohl sie auf gigantischen Ölvorräten leben, ist das aktuellste Beispiel für die Belastbarkeit dieser Regel.

Zu glauben, dass Sozialismus funktionieren könnte, ist ungefähr so vernünftig wie anzunehmen, man könne dem Horoskop der „Kronen Zeitung“ die Kursentwicklung an der Wiener Börse in der nächsten Woche entnehmen. Um so befremdlicher ist, dass diese gescheiterte Ideologie, mal ganz offen, mal verkleidet, derzeit in der westlichen Welt eine Art von Renaissance zu erleben scheint.

In den USA, ausgerechnet, konnte der linksextreme Kandidat Bernie Sanders bei den Vorwahlen der Demokraten erschreckende Ergebnisse einfahren, vor allem bei den Jungen. Von den sogenannten Millennials (18 bis 29 Jahre), das ergab jüngst eine Umfrage, halten dort 43 Prozent den Sozialismus, aber nur 32 Prozent den Kapitalismus für eine gute Sache. Nun wird zwar Sanders nicht Präsident werden, gelungen ist ihm aber durchaus, Hillary Clinton dank seines Erfolgs zu zwingen, wirtschaftspolitisch ein gutes Stück nach links zu rücken.

Auch in Europa verschiebt sich die politische Tektonik, obwohl das auf den ersten Blick anders aussieht. Frankreichs Marine Le Pen etwa tritt bei den Präsidentschaftswahlen 2017 mit einem Wirtschaftsprogramm an, das die „Neue Zürcher Zeitung“ als „linksextrem, antikapitalistisch und marktfeindlich“ beschreibt. Zu Recht: Le Pens Pläne für die Wirtschaft erinnern an eine Art DDR light mit guter Rotweinversorgung, so sehr ist da von staatlichem Eigentum, staatlicher Lenkung und Planwirtschaft die Rede. Wie überhaupt die Neue Rechte in ganz Europa in aller Regel wirtschaftspolitisch alles andere als liberal ist und regelmäßig mehr oder weniger sozialistische Positionen vertritt, solange das Stimmen bringt.

Auch sozialdemokratische Parteien reaktivieren ideologische Versatzstücke, die in den 1980er- und 90er-Jahren entsorgt worden sind. Dass unter der Führung des italienischen Sozialdemokraten Matteo Renzi in der EU immer mehr Druck entsteht, wieder zu den Schuldenexzessen der vermeintlich goldenen Kreisky-Ära zurückzukehren und die verhasste bürgerliche Austeritätspolitik endlich auch nominell abschütteln zu dürfen, folgt dieser Logik.

Dass ausgerechnet der US-Ökonom Joseph Stiglitz nicht nur den retro-sozialistischen britischen Labour-Chef, Jeremy Corbyn, berät, sondern auch beim neuen SPÖ-Chef ein willkommener Gast ist, fügt sich ebenso bestens in dieses Bild. Immerhin hat Stiglitz auch den venezolanischen Weg zum „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ als akademischer Fanboy freundlich begrüßt.

Absehbar ist leider auch, dass mit dem Ausscheiden der Briten aus der EU die Entwicklung der Union hin zu einer vulgär-keynesianischen Transferunion noch an Tempo gewinnen dürfte; um so mehr, als die geschwächte deutsche Bundeskanzlerin, Angela Merkel, dem nicht mehr so viel wird entgegenhalten können wie bisher.

Wir lernen: Nur, weil eine Idee gescheitert ist, ist sie eben noch lang nicht tot. Und hat sogar eine rosige Zukunft vor sich, wenn etwa junge Menschen im vom Bildungsministerium betreuten Online-Lexikon politik-lexikon.at erfahren: „Sozialismus ist eine politische Richtung, die davon ausgeht, dass in einer Gesellschaft Gleichheit, Gerechtigkeit und Solidarität als oberste Ziele verwirklicht werden sollen.“ Da wird doch niemand etwas dagegen haben – oder?

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Zum Autor:

Christian Ortner ist Kolumnist und Autor in Wien. Er leitet „ortneronline. Das Zentralorgan des
Neoliberalismus“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.10.2016)

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