Wer entscheidet, wen Ihr nächstes Auto töten soll?

Das wird sehr schwierig werden: Der Staat wird schon bald einmal festlegen müssen, welche Menschenleben im Zweifel mehr zählen und welche weniger.

Wenn irgendwann in näherer Zukunft Autos auf den Straßen unterwegs sind, die vom Bordcomputer gesteuert werden (autonomes Fahren), dann werden diese Rechner naturgemäß immer wieder Entscheidungen über Leben und Tod von Menschen treffen müssen. Denn in den Sekundenbruchteilen vor einem schweren Verkehrsunfall wird sich das Auto entscheiden müssen, ob es etwa nach links ausweicht und dort eine junge Frau mit einem Kinderwagen vermutlich töten wird – oder nach rechts steuert, wo eine Gruppe Rentner beim Kartenspiel sitzt.

Im Grunde geht es dabei um eine ganz ähnliche Frage wie jene, die am Montag dieser Woche in der interessanten Fernsehproduktion „Terror“ gestellt wurde: Darf ein Pilot ein Verkehrsflugzeug mit 164 Menschen an Bord abschießen, wenn dadurch 70.000 Menschen in einem Stadion gerettet werden können, auf die das von Terroristen gekaperte Flugzeug Kurs genommen hat? Darf man eine kleine Zahl Menschen töten, um eine größere Zahl Menschenleben zu retten?

Ganz im Gegensatz zum „Terror“-Plot wird eine wesensgleiche Entscheidung – welche Menschen sollen getötet werden dürfen, um welche Menschen zu retten – schon bald regelmäßig im Verkehrsalltag zu treffen sein. Solange Menschen diese Entscheidung treffen, stellt sich die Frage nicht wirklich, weil sie vom Fahrer intuitiv, spontan und damit unkontrollierbar getroffen wird, wenn es kracht. Dem autonomen Auto hingegen wird dessen Hersteller einen Algorithmus einbauen müssen, nach dem es diese Entscheidung trifft.

Das heißt aber auch: Es wird Gesetze brauchen, die relativ genau regeln, wie diese Algorithmen funktionieren und nach welchen Regeln sie die Entscheidung über Leben und Tod unbeteiligter Dritter zu treffen haben. Wie etwa: Ist einfach nur die Zahl der Toten zu minimieren? Sind Säuglinge eher zu schonen als Greise? Ist das Leben des Autobesitzers zu opfern, wenn das den menschlichen Gesamtschaden gemessen an der Anzahl der Toten und Verletzten am niedrigsten hält? Der technische Fortschritt wird hier Entscheidungen erzwingen, die mit unserem jetzigem Verständnis von Menschenwürde kaum vereinbar sein dürften.

Der Staat, so hat es Justizminister Wolfgang Brandstätter formuliert, habe nicht das Recht, Menschenleben gegeneinander abzuwägen und Menschen zu töten, um andere Menschen zu retten. Der Abschuss einer von Terroristen gekaperten Maschine sei daher unstatthaft, selbst wenn damit eine enorme Anzahl von Menschen gerettet werden könne.

Das werden die meisten Verfassungsrechtler in Deutschland und Österreich ähnlich sehen. Nicht zuletzt im Nachgang zur Nazi-Zeit wird dieser rechtsphilosophischen Logik im deutschen Sprachraum hohes Gewicht beigemessen. Gegenüber dem technologischen Fortschritt und den von ihm ermöglichten autonomen Autos wird diese Haltung freilich keinen wirklichen Bestand haben können. Denn ohne eine grundsätzliche Entscheidung des Staates, wer im Fall des Falles von diesen Algorithmen zu verschonen ist und wer nicht, wird der Einsatz dieser Technologie schlicht und einfach nicht möglich sein.

Das wäre gerade in diesem Kontext übrigens eine hoch problematische politische Entscheidung. Denn ziemlich sicher ist, dass der Betrieb autonomer Autos die Anzahl der Verkehrstoten signifikant reduzieren wird. Und zwar aus einem simplen Grund: weil das mit Abstand gefährlichste Teil des Systems Autoverkehr aus dem Verkehr gezogen wird, der Mensch.

Es entspräche dem besonders unter den Deutschsprechenden verbreiteten Hang zur „Gesinnungsethik“ im Sinne Max Webers, sich einfach auf die Position zurückzuziehen, kein Mensch habe das Recht, solche Entscheidungen zu treffen, wie sie das autonome Auto erzwingen wird. Es wäre halt gleichzeitig eine Entscheidung, die der moralischen Selbsterhöhung ihrer Vertreter wegen ziemlich viele Menschenleben kostete.

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Zum Autor:

Christian Ortner ist Kolumnist und Autor in Wien. Er leitet „ortneronline. Das Zentralorgan des
Neoliberalismus“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.10.2016)

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