Die arrogante Anmaßung der intellektuellen Eliten

Die Verachtung des linken, urbanen und intellektuellen Milieus für die einfachen Leute ist einer der Gründe für den Erfolg von Trump & Co. Auch hierzulande.

Es ist jetzt etwas über ein Jahr her, dass sich eine „Profil“-Redakteurin todesmutig nach Wien-Favoriten begeben und berichtet hat, was sie dort bei einer Veranstaltung der FPÖ zu Gesicht bekommen hat: „Es sind die hässlichsten Menschen Wiens, ungestalte, unförmige Leiber, strohige, stumpfe Haare, ohne Schnitt, ungepflegt, Glitzer-T-Shirts, die spannen, Trainingshosen, Leggins. Pickelhaut. Schlechte Zähne, ausgeleierte Schuhe. Die Flüchtlinge aus dem Nahen Osten sind ein schönerer Menschenschlag. Und jünger. Und irgendwie schwant ihnen das, den abgearbeiteten älteren Österreichern. Und sie werden sehr böse und würden die Flüchtlinge gern übers Meer zurückjagen.“

Es war dies ein Text, der durchaus repräsentativ ist für die Haltung, mit der große Teile der politischen wie medialen Klasse in der westlichen Welt einem erheblichen Teil der Wählerschaft, also letztlich des Souveräns, gegenüberstehen, egal, ob in Wien-Favoriten, dem Rust Belt der USA oder den abgehausten Bezirken von Marseille.

Eine Haltung des Unverständnisses, der Überheblichkeit und der Anmaßung, die sich seit dem Triumph Trumps und den möglichen Wahlsiegen von Hofer oder Strache hierzulande oder von Marine Le Pen in Frankreich mit immer mehr Lustangst vor der Revolution der hässlichen Menschen mit Leggins und Pickelhaut mischt. Eine Haltung, die in erheblichen Teilen der vier mehr oder weniger sozialdemokratischen Parteien dieses Landes (SPÖ, ÖVP, Grüne, Neos), aber auch vieler Meinungsmacher und der Wiener Twitterblase im Speziellen dominiert; genauso wie bei deren Pendants in Paris, Washington oder Paris.

Es ist dies aber auch eine Haltung, die wesentlich zum Aufstieg der neuen Nationalisten beigetragen hat und weiter beiträgt. Wer den „abgearbeiteten älteren Österreichern“ damit kommt, dass „die Flüchtlinge aus dem Nahen Osten ein schönerer Menschenschlag“ seien, wird sich nicht wundern dürfen, dass die „abgearbeiteten älteren Österreicher“ darob eher unrund werden. Und in der Anonymität der Wahlzelle Rache üben. Dass die Verachtung für die „abgearbeiteten älteren Österreicher“ gerade im urbanen, sich intellektuell gerierenden linksliberalen Milieu besonders gedeiht, ist eine ironische Wendung der Geschichte. Immerhin hat die Sozialdemokratie den Arbeiter ja einmal zu ihrem Idol erklärt und die Unterschichten politisch zu ertüchtigen versucht. Ihr Ziel war einstens, die Lebensverhältnisse derer mit „den schlechten Zähnen, den ausgeleierten Schuhen“ zu verbessern, anstatt sie zu verspotten.

Dass heute der FPÖ-Kandidat Norbert Hofer mit etwa 50 Prozent der Stimmen rechnen kann, während der Sozialist Rudolf Hundstorfer im ersten Wahlgang auf gerade elf Prozent kam, dürfte nicht zuletzt dieser Entfremdung der Partei von den Unterschichten geschuldet sein.

Gerade in Wien ist diese Entfremdung gut zu beobachten. Wenn nicht mehr die Verbesserung der Lebensverhältnisse der Unterschichten, sondern das Beachten der Regeln des Genderns in der Hoheitsverwaltung und die Errichtung von Begegnungszonen auf Einkaufsstraßen die städtische Agenda prägen, ist nicht sehr verwunderlich, dass die Zustimmung zur Sozialdemokratie immer überschaubarer wird.

Die Sozialdemokratie verliert jene, die sie zu vertreten meinte“, formulierte jüngst der Schweizer Publizist Rudolf Strahm, „sie bedient sich heute einer elitären akademischen Sprache, welche die Medienleute vielleicht anspricht. Die meisten Menschen aber verstehen sie nicht [. . .] Die intellektuelle Elite befriedigt sich mit herablassenden Analysen und überheblichen Urteilen über die sogenannten Populisten, Nationalisten, Abschotter, Ausländerfeinde. Dabei bemerken die Intellektuellen gar nicht, dass sie so die anderen verletzen und erzürnen.“

Die anderen – das sind eben die mit den „schlechten Zähnen und ausgeleierten Schuhen“. Und die revoltieren nun. Man kann das irgendwie verstehen.

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Zum Autor:

Christian Ortner ist Kolumnist und Autor in Wien. Er leitet „ortneronline. Das Zentralorgan des
Neoliberalismus“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.11.2016)

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