Was geht Mohammeds Sexualleben das Wiener Straflandesgericht an?

Die Ägypter haben sich mit Mut und Entschlossenheit endlich des Recht erkämpft, ihre Meinung frei von staatlicher Repression äußern zu können. In Österreich sind wir noch nicht ganz so weit.

Hunderte Jahre schon hatte die islamische Welt sehnsüchtig auf diesen Augenblick gewartet, Millionen frommer Muslime mussten in schrecklicher Ungewissheit verharren, auch die klügsten Gelehrten konnten sich nie auf eine allseits anerkannte Lösung einigen – doch am Montag dieser Woche war es so weit.

In einem Urteil erster Instanz klärte das Straflandesgericht Wien endlich die heiß umstrittene Frage, ob der Prophet Mohammed seiner Frau Aisha im eher zarten Alter von neun Jahren beigewohnt hat, wie es viele Quellen behaupten. Und so hat eine unter Koranexperten bisher eher weniger bekannte Wiener Richterin, sozusagen als höchste Glaubensinstanz der islamischen Welt von Marokko bis Malaysia, entschieden: jedenfalls kein Fall von Pädophilie im Hause Mohammed. Und verknackte deshalb die Angeklagte für ihre öffentliche Behauptung, der Prophet habe „gern mit Kindern ein bisschen was gehabt“, zu 120 Tagsätzen. Denn der gegen Mohammed gerichtete Vorwurf des Kindesmissbrauchs sei „sachlich völlig ungerechtfertigt“. Also „Herabwürdigung einer religiösen“ Lehre und fertig.

Ganz abgesehen von der schrägen Anmaßung, eine rund 1500Jahre zurückliegende arabische Bettgeschichte vor dem Wiener Landesgericht klären zu wollen: Ein derartiges Urteil (und das Gesetz, auf dem es basiert) passt besser nach Pakistan, Saudi-Arabien oder in den Iran als in einen vermeintlich liberalen und säkularen Rechtsstaat. Dafür verurteilt zu werden, dass man sinngemäß zitiert, was in einem erheblichen Teil der islamischen Welt als Glaubensinhalt gilt, mutet mehr wie die Erkenntnis eines Scharia-Gerichtshofes an und nicht wie ein Urteil „Im Namen der Republik“.

Vielleicht sollten wir uns künftig nicht nur mit der Frage beschäftigen, ob es künftig Meinungsfreiheit in Ägypten geben wird, sondern auch damit, wie wir hierzulande diese Meinungsfreiheit erringen können, ohne deswegen gleich tagelang den Wiener Stephansplatz besetzen zu müssen. Gesetze, die just eine Gruppe staatlich lizenzierter Glaubensgemeinschaften unter erhöhten Schutz vor allzu robuster Kritik stellt, sind nämlich mit dem Prinzip der Meinungsfreiheit nicht wirklich kompatibel.

Der einschlägige §188 Strafgesetzbuch ragt aus vormodernen Zeiten ins 21.Jahrhundert wie die Habsburgergesetze oder das Verbot, den Bundesrat verächtlich zu machen. Zeitgemäß ist eine derartige Norm nicht: Auf die allfälligen religiösen Gefühle seiner Mitmenschen Rücksicht zu nehmen ist im säkularen Staat eine Frage des Anstandes und der Ehre, die keiner staatlicher Regelung bedarf.

Der Zufall wollte es, dass zeitnah zum Wiener Urteil in den Kinos der Film „Tal der Wölfe“ anlief, ein türkisches Macho-Epos mit schwer antisemitischen Tendenzen. Mit Recht beklagte sich die jüdische Kultusgemeinde über den üblen Streifen. Trotzdem kann die Konsequenz daraus nicht sein, einen derartigen Film par ordre de mufti zu verbieten.

Meinungsfreiheit ist immer die Freiheit, jene Meinungen zuzulassen, die unseren eigenen diametral entgegengesetzt sind, oder es ist keine Meinungsfreiheit. Wenn wir Richter darüber urteilen lassen, welche Meinungen vertreten werden dürfen und welche nicht, dann sollten wir uns weniger vor ägyptischen Moslembrüdern als vor unserem eigenen Verständnis von Freiheit zu fürchten beginnen.


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("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.02.2011)

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