Hätten wir uns denn über eine Tötung Hitlers nicht freuen dürfen?

Die Exekution des Terrorpaten Osama bin Laden durch eine US-Spezialeinheit rührt an ein Tabu: dass nämlich der Tod eines Menschen die Welt durchaus zu einem besseren Platz machen kann.

Quergeschrieben

Nehmen wir mal kurz an, das Attentat des Grafen Schenk zu Stauffenberg auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 wäre gelungen und der Führer dabei vom Leben zum Tode befördert worden. Das wäre doch, haben wir uns bisher gedacht, für die Zeitgenossen schon ein Grund gewesen, sich zu freuen?

Nicht, wenn es nach der Logik all jener selbstberufenen deutschen Ethikexperten aus dem grünen und dem evangelischen Justemilieu geht, die sich seit Tagen moralmäßig mächtig an der Bundeskanzlerin abarbeiten, bloß weil die etwas völlig Naheliegendes ausgesprochen hatte: nämlich, dass sie das Ableben des Herrn bin-Laden durchaus „freut“. Mehr hat Angela Merkel nicht gebraucht. „Dass es kein Grund zum Feiern ist, wenn jemand gezielt getötet wird“, belehrte sie etwa schmallippig Katrin Göring-Eckardt, grüne Bundestags-Vizepräsidentin und hohe Funktionärin der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland. Alfred Buß, Präses der Landeskirche von Westfalen, entgegnete der Kanzlerin gar: „Die Welt wird nicht besser, indem man Menschen tötet, sondern dadurch, dass man auf seine Feinde zugeht.“

Na klar: Stauffenberg hätte halt auf Hitler „zugehen“ sollen, vielleicht hätte er ihn ja zu einer Familienaufstellung überreden können. So gesehen müssen wir noch heute dem Herrgott geradezu dankbar sein, dass die Stauffenbergsche Bombe den Führer verschonte, denn „die Welt wird nicht besser, indem man Menschen tötet“.

Doch, wird sie manchmal, auch wenn dieser unschöne Gedanke in den wohltemperierten Komfortzonen der europäischen Wohlstandsgesellschaften weitgehend tabuisiert ist: Hätte etwa schon die Clinton-Regierung bin Laden gezielt getötet, wäre mit hoher Wahrscheinlichkeit tausendfacher Tod und tausendfaches Leid in New York zu verhindern gewesen. Ganz zu schweigen von den segensreichen Auswirkungen eines allfällig geglückten Attentates auf Hitler im Münchener Bürgerbräukeller 1939.

Natürlich wäre das alles – so wie ja auch der nun erfolgreiche Zugriff – nicht legal gewesen. Legal wäre freilich auch nicht gewesen, bin Laden zu kidnappen, um ihn anschließend vor Gericht zu stellen, wie das nun viele fordern: Auch dabei wäre ja zahllose Gesetze gebrochen worden.

Legal wäre vermutlich nur gewesen, beim Einwohnermeldeamt von Abbottabad die Anschrift des Beschuldigten zu ermitteln und ihm sodann per Einschreiben eine Ladung des Strafgerichtes von Manhattan Süd zustellen zu lassen, was zweifellos tiefen Eindruck auf bin Laden gemacht hätte (siehe dazu auch das gestrige „Quergeschrieben“ von Rudolf Taschner).

Auch wenn uns der Gedanke nicht behagt: Die strikte und ausnahmslose Unterwerfung unter das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit kann in bestimmten historischen Einzelfällen höchst unerwünschte Folgen haben. Dass etwa die Nato seinerzeit dem Serben Milošević militärisch die Fortsetzung seines Massakers am Balkan verunmöglichte, war rechtlich besehen zweifellos nicht legal – richtig war es trotzdem; was hingegen damals in diesem Sinne legal gewesen wäre, hätte zehntausende zusätzliche Opfer gebracht und wäre deshalb falsch gewesen.

Barack Obama hatte recht, auch in diesem Fall dem Richtigen die Priorität über das Recht einzuräumen – und Frau Merkel hatte recht, ihre Freude darüber publik zu machen.


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Zum Autor:

Christian Ortner ist Kolumnist und Autor in Wien. Er leitet „ortneronline. Das Zentralorgan des Neoliberalismus“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.05.2011)

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