Warum leben jüdische Kids genau dort, wo Raketen aus Gaza einschlagen?

Wenn es gegen Israel geht, kennen die Palästinenserversteher in der Wiener SPÖ keine Gnade. Raketenterror gegen Israel wird in diesem Milieu deutlich entspannter gesehen.

Es war zweifellos eine Sternstunde der Zweiten Republik: Couragiert, ohne Rücksicht auf das eigene Wohlergehen, ja geradezu todesmutig stellte sich das Wiener Stadtparlament unter Führung der Sozialdemokratischen Fraktion damals, im Mai 2010, den unfassbaren Verbrechen des zionistischen Gebildes entgegen, nachdem israelische Soldaten ein Schiff der sogenannten Gaza-Flottille geentert hatten. „Der Wiener Gemeinderat verurteilt das brutale Vorgehen gegen die friedliche Hilfsflotte – noch dazu in internationalen Gewässern – auf das Schärfste. Der Wiener Gemeinderat fordert, dass die EU und die österreichische Bundesregierung alles unternehmen, um diesen Vorfall international zu untersuchen und lückenlos aufzuklären...“, forderten die Wiener Parlamentarier damals in einem Beschluss von geradezu welthistorischer Bedeutung, berücksichtigt man den traditionell enormen Einfluss von Wiener Landtagsbeschlüssen auf die Lage im Nahen Osten.

Etwas differenzierter – nämlich gar nicht – reagierten die Nahostexperten des Wiener Landtags freilich auf die Ereignisse des vergangenen Wochenendes. Da hatte nämlich die palästinensische Peace-now-Bewegung aus dem Gazastreifen den interkulturellen Dialog mit ihren israelischen Nachbarn mithilfe von 206 auf Südisrael abgefeuerten Raketen vom Typ Kassam voranzutreiben versucht; wohl eine Art milieutypischer Beitrag zum nahöstlichen Friedensprozess. (Dass es dabei nicht zu einem Massaker in einer getroffenen Schule gekommen ist, liegt nur daran, dass sich die Kinder in einen Bunker retten konnten.)

Darauf, dass der Wiener Gemeinderat „das brutale Vorgehen“ der palästinensischen Terroristen „auf das Schärfste verurteilt“, wartet die Weltöffentlichkeit vergebens. Auch davon, „...dass die EU und die Bundesregierung aufgefordert werden, alles zu unternehmen, um diesen Vorfall international zu untersuchen und lückenlos aufzuklären“, war aus dem Rathaus bislang keine Silbe zu hören.

Verständlich: Was geht schließlich den Wiener Gemeinderat an, dass jüdische Kinder sich in den Kopf gesetzt haben, ausgerechnet dort in die Schule gehen zu wollen, wo die Kassam-Raketen ihrer palästinensischen Nachbarn einschlagen? Man kann sich ja nicht um alles kümmern, schon gar nicht, wenn die Abgeordneten gerade mit dem Erhöhen der Tarife für kommunale Dienstleistungen kaum nachkommen. Nicht einmal der große sozialdemokratische Humanist und Kommunalpolitiker Omar Al-Rawi, Mitglied des Wiener Gemeinderats und gern gesehener Gastredner bei Wiener Sympathiedemonstrationen für die Hamas, der sonst verlässlich moralisch hyperventiliert, sobald in Jerusalem ein Israeli einen Palästinenser schief anschaut, hat sich angesichts der Raketenangriffe zu Wort gemeldet.


Er beweist damit feines Gespür für Prioritäten: Genosse Al-Rawi, vor zwei Jahren noch spiritueller Führer des gemeinderätlichen Widerstands gegen das zionistische Gebilde und seine Lakaien, ist derzeit mit der Unbill der Parkraumbewirtschaftung in seiner politischen Heimat Meidling bis an die Grenzen seiner geopolitischen Problemlösungskapazitäten ausgelastet. Politisch überrascht das nicht: Von den Stimmen derer, die Raketenangriffe auf israelische Schulen irgendwie nicht ganz okay finden, kann man als sozialdemokratischer Politiker in manchen multikulturell bereicherten Stadtteilen politisch kaum satt werden.


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Zum Autor:

Christian Ortner ist Kolumnist und Autor in Wien. Er leitet „ortneronline. Das Zentralorgan des Neoliberalismus“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.03.2012)

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