ÖVP braucht keine Anstandsregeln, sondern Politiker mit mehr Anstand

Wäre der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter ein deutscher Ministerpräsident, so wäre er angesichts seiner weidmännischen Nehmerqualitäten wohl schon bald Ex-Regierungschef. Mit Recht.

Sowohl der deutsche Ex-Bundespräsident Christian Wulff als auch der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter haben sich breitschlagen lassen, von Dritten geldwerte Leistungen weit jenseits der Geringfügigkeitsgrenze (Reisen und Jagden) anzunehmen. Bezeichnenderweise ist Wulff daraufhin zurückgetreten, Platter hingegen bleibt nicht nur ungerührt im Amt, sondern weigert sich auch noch dreist, „über Rücktritt auch nur zu diskutieren“.

Kompakter kann man den Unterschied zwischen der deutschen politischen Kultur und dem hiesigen Hochalpensumpf kaum beschreiben. Indem er nicht den geringsten Genierer zeigt, erweist sich Platter freilich als ganz hervorragender Repräsentant der politischen Klasse in Österreich. Noch bei ein paar Gratisjagden mit dabei, und der Mann ist auch für das höchste Amt im Staat qualifiziert. Als Trophäe kann er sich ja dann den ausgestopften politischen Anstand an die Wand der Hofburg hängen, auf dass der ihn mit toten Augen anglotze.

Übertroffen wird Herrn Platters Dreistigkeit nur noch von der Dummheit seiner anschließenden Einlassung: „Es kann nicht sein, dass ein Landeshauptmann nicht dem Freizeitvergnügen im eigenen Land nachgehen kann.“

Auf die Idee, dass sich ein Landeshauptmann sein teures Freizeitvergnügen wie jeder gewöhnliche Steuerzahler, auf dessen Kosten Platter lebt, selbst bezahlt, kommt einer wie er offenkundig erst gar nicht. Ein interessanter Einblick in seinen Charakter, für den der Wähler zu danken hat. (Ganz nebenbei: Jeder normale Angestellte, der geldwerte Leistungen im Wert von ein paar tausend Euro bezieht, muss diese natürlich dem Finanzamt melden und versteuern. Gilt auch für Landeshauptleute.)

Indem er Platter nicht etwa rät, einen auf Wulff zu machen, sondern ihm ganz im Gegenteil auch noch korrektes Verhalten bescheinigt, wo kein korrektes Verhalten vorliegt, steigt Parteichef Michael Spindelegger nun freiwillig selbst in jenen Sumpf, der dem Tiroler Landeshauptmann bis zur Oberkante der Unterlippe steht. Er erweist seiner Partei damit keinen guten Dienst (aber angesichts der Machtverhältnisse in der ÖVP vielleicht wenigstens sich selbst).

Eine Partei, deren Chef nichts dabei findet, dass einer ihrer höchsten Funktionäre ohne erkennbares Unrechtsgefühl geldwerte Geschenke annimmt, braucht keinen „Verhaltenskodex“, sondern viel eher Spitzenfunktionäre mit jenem Minimum von Anstand im Leib, der ihnen sagt, was geht und was nicht geht. Früher galt so etwas einmal als bürgerliche Tugend.

Wenn aber Michael Spindelegger nun einen derartigen „Verhaltenskodex“ für ÖVP-Politiker ausarbeiten lässt, bescheinigt er letztlich seinen eigenen Leuten einen eklatanten Mangel an dieser bürgerlichen Tugend. Denn würde es nicht einer erheblichen Anzahl von ÖVP-Politikern an jenem Empfinden dafür fehlen, „was geht“ und was eben „nicht geht“, bräuchte es einen derartigen Kodex ja überhaupt nicht. Ein etwas sonderbares Angebot an potenzielle Wähler, den eigenen Leuten derartige Verhaltenskodex-Bedürftigkeit zu bestätigen.

Landeshauptmann Platter mit jenem Maß zu messen, mit dem die deutsche Schwesterpartei CDU die vergleichbare Causa Wulff vermessen hat, würde der ÖVP mehr Glaubwürdigkeit verschaffen.


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Zum Autor:

Christian Ortner ist Kolumnist und Autor in Wien. Er leitet „ortneronline. Das Zentralorgan des Neoliberalismus“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.03.2012)

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