Erst kommt das Tanken, und dann kommt die Moral

Auf halbwegs billiges Benzin zu verzichten fällt den meisten Österreichern offenbar wesentlich schwerer, als elementare Bürgerrechte preiszugeben: Eigenartige Prioritäten werden da sichtbar.

Weil eine durchschnittliche Tankfüllung eines durchschnittlichen Autos zu Ostern, wie jedes Jahr, um nicht einmal zwei Euro mehr kostet als sonst, hyperventiliert das ganze Land in diesen Tagen derart hysterisch, als würde man einer Horde von übellaunigen Kindern das Ketchup zu ihren Pommes wegnehmen. So ein öffentlich vorgetragenes Gezeter, Geheule und Gejammere war seit dem Begräbnis Kim Jong-ils nicht mehr zu vernehmen.

Ist ja auch wirklich nicht zu verstehen, dass steigende Nachfrage zur Urlaubszeit nicht zu sinkenden Benzinpreisen führt, wie das jeder kalkulieren wird, der in einer normalen öffentlichen österreichischen Schule, wo Marktwirtschaft und Profitstreben gemeinhin als Spielart der organisierten Kriminalität interpretiert werden, seine wirtschaftliche Grundausbildung erfahren durfte.
Die Freiheit, sein Auto nicht zu Marktpreisen, sondern zu als „sozial gerecht“ empfundenen Preisen vollzutanken, gilt hierzulande eben als unveräußerliches Menschenrecht, das der Staat gefälligst zu gewährleisten hat und das in der Realverfassung festgeschrieben ist wie das Menschenrecht auf Frühpension, auf die TV-Übertragung des Villacher Faschings oder auf geschlossene Geschäfte am Sonntag.

Wesentlich apathischer, um nicht zu sagen völlig gleichgültig, reagiert das Land hingegen just zur gleichen Zeit auf die systematische Demontage der Freiheit, vom Staat – im Zuge des neuen Gesetzes über die „Vorratsdatenspeicherung“ von privaten Kommunikationsdaten – nicht unangemessen beschnüffelt, bespitzelt und kontrolliert zu werden. Außer ein paar berufsbedingt habituell paranoiden Kommentatoren, immer besorgten Datenschützern und schrägen Internet-Nerds regte der Umstand, dass die Obrigkeit künftig tiefste Einblicke in das Intimleben ihrer Untertanen nehmen kann, genau niemanden auf.

Es ist eine eigenartige Prioritätensetzung, die da sichtbar wird. Auf billiges Benzin zu verzichten fällt diesem Land offenbar unendlich schwerer, als auf grundlegende Bürgerrechte zu verzichten: Erst kommt das Tanken, und dann kommt die Moral. Sehr erwachsen erscheint das nicht gerade.

Dabei ist die Freiheit von allzu aufdringlicher staatlicher Schnüffelei nicht die einzige Freiheit, die hierzulande in den letzten Jahren systematisch zurückgedrängt worden ist, ohne dass dies zu nennenswerter öffentlicher Empörung geführt hätte. Eigentum zu bilden, eine wesentliche Bedingung von Freiheit, verunmöglicht der staatliche Steuerexzess immer effizienter, was aber kaum noch jemanden sonderlich zu stören scheint.

Die Meinungsfreiheit wiederum wird zunehmend und systematisch bedrängt von schmallippiger politischer Korrektheit und den sie exekutierenden medialen Tugendwächtern, unermüdlich auf der Jagd nach Klimawandelleugnern, Islamskeptikern und anderen höchst gefährlichen Gedankenverbrechern. Und daran, dass in jeder normalen Fußgängerzone heute Kameras vorhanden sind, stoßen sich mittlerweile nicht einmal mehr hartgesottene Querulanten, so üblich ist diese Form der Bürgerüberwachung geworden.

Boulevardblätter, die ja vorzügliche Echokammern für die Emotionen ihrer Leser abgeben, haben jetzt Kampagnen gegen vermeintlichen „Spritwucher“ und „Abzocke“ gestartet. Die bedrängten Bürgerrechte hätten solchen Aktionismus viel eher nötig.

Zum Autor:

Christian Ortner ist Kolumnist und Autor in Wien. Er leitet „ortneronline. Das Zentralorgan des Neoliberalismus“.

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