'Wäre ich Jihadist, würde mich niemand geisteskrank nennen'

(c) AP (Hakon Mosvold Larsen)
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Der Attentäter Anders Breivik will als "normal" gelten und fürchtet das "Irrenhaus": Als unzurechnungsfähig zu gelten sei "das Ärgste, das einem politischen Aktivisten passieren kann".

Oslo/Kopenhagen. Im Prozess gegen den christlichen norwegischen Rechtsradikalen Anders Breivik hatte dieser am Mittwoch Gelegenheit, die zwei psychiatrischen Gutachten zu kommentieren. Damit begann quasi der Kampf um Breiviks Psyche, der als entscheidend für den Ausgang des Prozesses gilt: Wird Breivik am Ende als zurechnungsfähig beurteilt, warten bis zu 21 Jahre Haft auf ihn; sonst kommt er in die Psychiatrie – möglicherweise lebenslang.

Der Attentäter, der im Vorjahr 77 Menschen in Oslo beziehungsweise Utøya getötet hatte, will nicht als unzurechnungsfähig gelten. Politischer Extremismus sei etwas anderes als Irrsinn, meinte er: „Wäre ich ein bärtiger Jihadist, wäre niemand auf die Idee gekommen, dass ich geisteskrank sei.“ Der erste Bericht der Psychiater Torgeir Husby und Synne Sørheim hatte Breivik als psychotisch und paranoid-schizophren eingestuft. Ihr Gutachten sei „zu 80 Prozent erdichtet“, behauptete Breivik. „Wenn ich von der Person gelesen hätte, die in dem Gutachten beschrieben wird, hätte ich auch gedacht, sie gehöre ins Irrenhaus. Aber die Person bin nicht ich.“ Die Argumente seien „bösartige Erfindungen“.

Die Psychiater hätten sich bemüht, ihn als „weniger intelligent“ darzustellen als er sei und logisches Tun als paranoid gewertet. So bestritt er, dass er aus Angst vor Bakterien und Strahlen daheim eine Mundbinde benützt habe: Er habe nur gefürchtet, in der Vorbereitungsphase der Anschläge von seiner erkrankten Mutter infiziert zu werden. Dass er Überwachung fürchtete, sei für „kommende Terroristen“ eine normale Vorsichtsmaßnahme. Als unzurechnungsfähig zu gelten sei „das Ärgste, das einem politischen Aktivisten passieren kann“.

Widersprechende Gutachten

Breivik nannte Husby und Sørheim konsequent „Asbjørnsen und Moe“, bis ihm Richterin Wenche Arntzen das verbot. Asbjørnsen und Moe sind quasi Norwegens Gebrüder Grimm. Die Gutachter hätten schon früh geschlossen, dass jemand, der so etwas wie er tue, verrückt sein müsse, so Breivik. Früher hatte er behauptet, dass sie ihre Erklärung aus Rachsucht oder im Auftrag der Regierung verfasst hätten. Davon distanzierte er sich jetzt; in seinem Versuch, als „normal“ zu gelten, hat Breivik im Prozess auch sonst seine Rhetorik gemäßigt und vieles von dem, was er früher schrieb und sagte, als „pompös“ relativiert.

Das zweite Gutachten von Agnar Aspaas und Terje Tørrissen konzediert Breivik Persönlichkeitsstörungen, doch Zurechnungsfähigkeit. Die Zusammenarbeit mit diesen sei unproblematisch gewesen, sagte Breivik, obwohl er mehrere ihrer Schlüsse anfocht. So sei er kein Narzisst: „Ein Narzisst ist nicht bereit, sich für andere (Gleichdenkende, Anm.) zu opfern, wie ich es tat.“ Die Kommission für Gerichtsmedizin, die solche Gutachten prüft, ist mit diesem indes unzufrieden: Die Autoren hätten verabsäumt, darauf einzugehen, inwieweit der Klient sein Verhalten auf die Erfahrungen mit den Erstgutachtern abgestimmt habe. In Kürze wollen Aspaas und Tørrissen ihren Bericht ergänzen.

Empfindlicher „Tempelritter“

Indes ließ sich Breivik aus der Fassung bringen, wenn die Ankläger bei seinem Selbstbild als „Tempelritter“ oder seiner Fantasieuniform verharrten: Irritiert und mit rotem Gesicht warf er Staatsanwalt Svein Holden mehrmals vor, ihn lächerlich zu machen. Als Holden wissen wollte, ob ihn die Anwesenheit der Psychiater beeinflusse, erwiderte Breivik: „Klar. Ich weiß ja, dass ich riskiere, im Irrenhaus zu landen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.04.2012)

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