Das literarische Quartett dichtet ein Bekenntnis zur Großen Koalition

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Das Gedicht, das Josef Ostermayer im Namen von Werner Faymann, Erwin Pröll und Peter Kirchweger verfasst hat, gehört eigentlich schon jetzt zum Kanon der politischen Literatur.

Inzwischen hat es ja wieder ein wenig abgekühlt. Aber die „heiße Phase“ des Wahlkampfs, erfahre ich aus dem österreichischen Zentralorgan für politische Wallungen, hat ausgerechnet am 8.August, dem heißesten Tag des Jahres, begonnen. Abends. In einem Grinzinger Gastgarten. Mit einem „Reblaus-Pakt“!

In der Autografensammlung des Gasthofs Pfarrwirt befindet sich seither ein wertvolles Blatt. Es wurde in der Sonntags-„Krone“ faksimiliert und trägt die Unterschriften von Werner Faymann, Erwin Pröll, Josef Ostermayer und Peter Kirchweger, von vier Männern also, die in Wien weltberühmt sind: Faymann ist derzeit Bundeskanzler, Pröll Landeshauptmann von Niederösterreich, Ostermayer arbeitet als Brain Extension auf dem Ballhausplatz und Kirchweger als Luca Brasi in St.Pölten.

Der Text ist ein ziemlich anspielungsreiches, psychologisch fein gewobenes, sich rhythmisch am elegischen Distichon orientierendes Gedicht im freien Versmaß, stammt also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht aus der Feder des Bundeskanzlers.

Nun also im Wortlaut: „An diesem Tisch ist der Gemischte Satz der Politik offenkundig geworden. Er hat sehr gemundet.“ Erste grafologische Gutachten legen nahe, dass es sich beim Autor um Staatssekretär Ostermayer handelt. Der ehrende Verdacht wird durch zwei Indizien erhärtet: Erstens hat der Autor auch Ort und Datum am unteren Ende des Blattes eingefügt sowie seine Unterschrift am letzten verfügbaren Platz geleistet, sodass alle anderen vor ihm unterschreiben konnten – und der protokollarisch Erste, der Kanzler, automatisch als Autor der geistvollen Zeilen identifiziert würde. So ist er, der Staatssekretär.

Zweitens aber wurde an dem Text, wie an so gut wie jeder nennenswerten Hervorbringung der Weltliteratur, herumgestrichen. Auch dafür kommt eigentlich nur Josef Ostermayer infrage: Pröll hat einen Stift in anderer Farbe verwendet, Kirchweger hält sich nicht für befugt, und der Kanzler würde eine Idee, wenn er eine hätte, in einem unumkehrbaren Fluss zu Papier bringen. Ostermayer aber ist ein skrupulöser Intellektueller, was man auch an der Art der Korrektur ablesen kann: Ursprünglich hat es „An diesem Tisch ist der politische Satz...“ heißen sollen. Der Propagandastaatssekretär muss in der Sekunde begriffen haben, dass das sprachlich eher in Richtung Bodensatz rinnen würde, und hat souverän die elegante Wende hin zum „gemischten Satz der Politik“ genommen.

Claus Pándi, der Großmeister sowohl der literarischen Politkritik als auch der politischen Literaturkritik, hat sich in seiner Kolumne, die mit dem Autografen geschmückt wurde, mit der Frage der Autorenschaft nicht aufgehalten, sondern ist direkt zu dem durchaus gewagten Schluss seiner Interpretation vorgeprescht: Dieser „Reblaus-Pakt“, schrieb er, sei nicht nur „einer weinseligen Laune entsprungen“, nein, er sei „das Bekenntnis zur Großen Koalition“. Waren nicht schon immer jene Literaturkritiker die besten, deren Schnörkellosigkeit in der Analyse einem regelrecht den Atem nehmen kann?

Die dichterische Mühe wurde jedenfalls belohnt: „Die Koalition auf stabilem Kurs“ hieß es über der Grafik zur jüngsten Meinungsumfrage, und auf der Titelseite wurde dem literarischen Quartett von Grinzing nachgerade Mut gemacht: „Koalition könnte es wieder schaffen.“ Hoffentlich.


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Zum Autor:

Michael Fleischhacker (*1969) arbeitete als
Journalist bei der
„Kleinen Zeitung“ und beim „Standard“, ab 2002 bei der „Presse“.
Von 2004 bis 2012 Chefredakteur der „Presse“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.08.2013)

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