Wer Veränderung will, muss SPÖ und ÖVP die Stimme verweigern

In der Schlussphase des Wahlkampfs konzentriert sich das politmediale Establishment darauf, die Oppositionsparteien als „unwählbar“ zu brandmarken. Hoffentlich funktioniert das nicht.

Fleischhacker
am Montag
Derzeit wird allenthalben für die Endphase des Nationalratswahlkampfs klar Schiff gemacht. Damit wird auch das Ziel, das die etablierten Parteien und die etablierten Medien gemeinsam verfolgen, immer deutlicher: Es soll alles so bleiben, wie es ist. Das erklärte Ziel des politmedialen Komplexes ist die Neuauflage der Großen Koalition, eventuell ergänzt um die Grünen. Alles andere käme einem Experiment gleich, und Experimente gelten als gefährlich. Wer weiß, was dabei herauskommt.

Natürlich ist der Wunsch, dass im Wesentlichen alles so bleibt, wie es ist, genauso legitim wie der Wunsch nach Veränderung. Wer vom Istzustand profitiert, hat ein Interesse an seiner Fortsetzung, wer sich durch den Istzustand materiell, ideologisch oder politisch-ästhetisch eingeschränkt fühlt, plädiert für Veränderung. So weit ist das, was wir jetzt sehen, ziemlich gewöhnlich.

Ungewöhnlich ist eher, wie sehr sich die medialen Systemerhalter derzeit für Michael Spindelegger und seine ÖVP ins Zeug werfen. Je deutlicher sich abzeichnet, dass das medial inszenierte Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen SPÖ und ÖVP, das durch die Umfragerohdaten von Beginn an nicht gedeckt war, nicht stattfinden wird, umso schärfer wird gegen jene beiden neuen Gruppierungen geschossen, die der ÖVP am meisten Stimmen wegnehmen: Team Stronach und Neos.

Eine ÖVP, der nur knapp über 20 Prozent bliebe, wäre für die Erhaltung des Bestehenden ein Problem. Eine knappe Mehrheit für SPÖ und ÖVP erscheint dem Establishment als ideale Voraussetzung für eine Einbindung der Grünen: Das sähe neu aus, würde aber nichts ändern.

Der Einstieg Hans-Peter Haselsteiners in die Endphase des Neos-Wahlkampfs ist für die Verteidiger des Status quo ein Geschenk. Die handelsüblichen Analysen, denen zufolge die Neos durch Haselsteiner den Nimbus der „Unangreifbarkeit“ verlören, werden auch durchaus im Ton der Erleichterung vorgetragen: Bisher konnte man die Neos nur ignorieren, jetzt sind sie auch angreifbar. Das erklärte Ziel aller Oppositionsparteien besteht darin, die absolute Mehrheit von SPÖ und ÖVP zu brechen. Es ist ein Ziel, bei dessen Erreichung man sie unterstützen sollte – auch wenn damit zu rechnen ist, dass nach der Wahl eine dieser Oppositionsparteien mit SPÖ und ÖVP unter die Decke schlüpft und sich für die Fortsetzung des Alten unter einem neuen Namen hergibt.

Es ist kein Zufall, dass sich die Auseinandersetzung zunehmend auf die Frage konzentriert, ob diese oder jene Oppositionspartei „wählbar“ sei, während man keine Zeile darüber lesen kann, was eigentlich inhaltlich dafür spricht, seine Stimme der SPÖ oder der ÖVP zu geben. Je deutlicher sich zeigt, dass die einzige Möglichkeit, seinen Wunsch nach Veränderung zum Ausdruck zu bringen, darin besteht, SPÖ und ÖVP die Stimme zu verweigern, desto klarer müssen die Systemerhalter den Bürgern erklären, dass alle anderen, die Grünen ausgenommen, „unwählbar“ sind.

Natürlich sind alle antretenden Parteien „wählbar“, und zwar nicht nur im technisch-rechtlichen Sinn. FPÖ, Team Stronach, BZÖ oder Neos: Sie alle stehen für Inhalte, denen man, je nach weltanschaulicher Präferenz, getrost seine Stimme geben kann.

Man kann nur hoffen, dass sie alle im kommenden Nationalrat vertreten sein werden. Es wäre ein Zeichen demokratischer Reife, den Erpressungsversuchen des politmedialen Establishments zu widerstehen.


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Zum Autor:

Michael Fleischhacker (*1969) arbeitete als
Journalist bei der
„Kleinen Zeitung“ und beim „Standard“, ab 2002 bei der „Presse“.
Von 2004 bis 2012 Chefredakteur der „Presse“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.09.2013)

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