Die Grenze zwischen Journalismus und Politaktivismus verschwimmt

Im Edelgewerbe des "investigativen" Journalismus sucht man nicht nach einem realistischen Gesamtbild, sondern nach möglichst vielen Beweisen für die Anklage.

Susanne Gaschke hätte ihren Max Weber genauer lesen sollen. Ganz am Ende seines berühmten, nach einer Rede rekonstruierten Textes „Politik als Beruf“ heißt es: „Nur wer sicher ist, dass er daran nicht zerbricht, wenn die Welt, von seinem Standpunkt aus gesehen, zu dumm oder zu gemein ist für das, was er ihr bieten will, dass er all dem gegenüber ,Dennoch!‘ zu sagen vermag, nur der hat den ,Beruf‘ zur Politik.“

Gaschke, von 1.Dezember2012 bis 28.November2013 Oberbürgermeisterin von Kiel, davor Journalistin der Hamburger Wochenschrift „Die Zeit“, hatte ihn nicht. Sie scheiterte an einer sachlichen Fehlentscheidung in einer Steuerangelegenheit und ihrer Unfähigkeit, die Folgen in den Griff zu bekommen. Sie ist dann ein bisschen ausgerastet.

Bei ihrem Wechsel von der „Zeit“-Redaktion in den Wahlkampf um das Kieler Oberbürgermeisteramt hat sie erklärt, sie wolle nun mitspielen. Nicht wie vorher, als Journalistin, Schiedsrichterin sein. Ein doppeltes Missverständnis: Erstens hat Frau Gaschke schon als Journalistin Politik gemacht, und zwar nicht nur in einem allgemeinen Sinne. Zweitens haben Journalisten nicht die Rolle des Schiedsrichters, außer sie heißen Heribert Prantl, arbeiten bei der „Süddeutschen Zeitung“ und verstehen, in der Tradition des moralisierenden Linksliberalismus, die Ausübung des journalistischen Berufs als Fortsetzung ihres Richteramts mit effizienteren Mitteln.

Max Weber hat übrigens vor bald 100Jahren schon gemeint, dass „unter allen Umständen“ die journalistische Laufbahn „einer der wichtigsten Wege der berufsmäßigen politischen Tätigkeit“ sein werde. Es müsste also durchaus nicht als Vorwurf interpretiert werden, wenn man über Journalisten sagt, sie machten Politik.

In der Regel wird es aber so aufgefasst. Als ich einen österreichischen Kollegen einmal als „Justizpolitiker“ bezeichnete, bombardierte er mich ab dem ersten Morgengrauen mit eher uneleganten Kurzmitteilungen.

Glenn Greenwald, jener politische Aktivist, der in seiner damaligen Rolle als „Guardian“-Kolumnist zum Sprachrohr der Enthüllungen des ehemaligen NSA-Mitarbeiters Edward Snowden geworden ist, sieht das so: Natürlich habe jeder Journalist eine politische Agenda, aber sobald man diese dem Publikum gegenüber transparent mache, sei das nicht nur in Ordnung, sondern auch wünschenswert. So sehen das die meisten Journalisten, die sich investigativ nennen und sich damit selbst die höheren moralischen Weihen spenden. Nur machen sie ihre politische Agenda in der Regel nicht transparent.

Das Problem des aktivistischen Journalismus ist nicht seine jeweilige ideologische Ausrichtung – zumindest gibt es unter den Ausübenden dieses edlen Gewerbes keine ideologischen Konflikte, weil sie alle antiimperialistische Kämpfer gegen die Geißel des Neoliberalismus sind –, sondern seine Tendenz zur Kampagne. Aktivisten sind nicht auf der Suche nach einem möglichst realistischen Bild der gegenwärtigen und/oder früheren Geschehnisse, sondern nach möglichst vielen Beweisen für ihre Anklage.

Vor Kurzem hat das Feuilleton der „Süddeutschen Zeitung“ ein Interview mit Jeremy Scahill, dem Militärreporter („The Nation“) und Autor von „Dirty Wars“, veröffentlicht. Hätte man Namen des Interviewten geschwärzt, hätte man es als Leser nur als Interview mit einem missionarisch gestimmten Politiker identifizieren können.

Scahill wird gemeinsam mit Greenwald und mit dem Geld des eBay-Gründers Pierre Omidyar eine neue journalistische Plattform gründen. Eine, die wirklich unabhängig ist und nicht so wie die traditionellen Medien mit den Mächtigen im Bett liegt.

Anmaßung gehört zum Beruf, könnte man halb selbstironisch sagen, und bis zu einem gewissen Grad tut sie das tatsächlich. Aber dass der mit Sektenmentalität geführte Kampf von politischen Aktivisten zum „eigentlichen“ Journalismus umgedeutet wird, ist Teil der Krankheit, als deren Therapie er sich ausgibt.

E-Mails an:office@michaelfleischhacker.at

Zum Autor:

Michael Fleischhacker (*1969) arbeitete als
Journalist bei der
„Kleinen Zeitung“
und beim „Standard“, ab 2002 bei der „Presse“.
Von 2004 bis 2012 war er Chefredakteur der „Presse“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.11.2013)

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