Der Weltweise aus Hamburg und die Despoten der Welt

Helmut Schmidt gilt als die moralische Instanz der deutschen Politik. Was er sagt, lässt sich zusammenfassen: Radical Chic plus Altersstarrsinn ist gleich Mainstream.

Die Deutschen sollen und wollen wieder eine aktivere Außenpolitik betreiben. Dass sie sollen, forderte Bundespräsident Joachim Gauck in seiner Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz; dass sie wollen, betonten der alt-neue Außenminister Frank-Walter Steinmeier und die neue Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen in ihren Statements. Gauck erklärte, die deutsche Vergangenheit könne keine Entschuldigung mehr für das Nichtstun sein. Steinmeier versicherte, Deutschland erkenne seine Verantwortung an (was, im Zusammenhang mit der Vernichtung der syrischen Chemiewaffen gesagt, durchaus auch als Seitenhieb auf seinen FDP-Vorgänger Guido Westerwelle zu lesen war). Und von der Leyen betonte, dass Gleichgültigkeit für ein Land wie Deutschland keine Option sei.

Christian Ultsch hat in der „Presse am Sonntag“ darauf hingewiesen, dass auch im Nachbarland Österreich eine aktivere Außenpolitik wünschenswert wäre. Angesichts der hiesigen Personalkonstellation – Heinz Fischer statt Joachim Gauck, Sebastian Kurz statt Frank-Walter Steinmeier, Gerald Klug statt Ursula von der Leyen und zu allem Überfluss noch Werner Faymann statt Angela Merkel – sei das aber eben nur ein frommer Wunsch.

Der Vergleich im Personal: geschenkt (obwohl der neue Außenminister eine wirkliche Verbesserung im Vergleich zu seinem Vorgänger, der inzwischen als Finanzminister dilettiert, darstellt). Aber sowohl für Deutschland als auch für Österreich stellt sich die nämliche Frage: Was heißt denn das eigentlich, eine aktivere Außenpolitik unter Einbeziehung militärischer Optionen zu betreiben? Auf welcher Wertebasis definiert man ihre Ziele, und welche Mittel hält man für legitim, um sie zu erreichen?

Wenn es nach dem ehemaligen deutschen Bundeskanzler Helmut Schmidt geht, der seit einigen Jahren von der von ihm herausgegebenen Wochenschrift „Die Zeit“ auf allen verfügbaren Bühnen des deutschsprachigen Bedeutungstheaters als Hamburger Weltorakel inszeniert wird, ist das einzig akzeptable Ziel von Außenpolitik der Frieden.

„Ich halte eine ,wertegebundene Außenpolitik‘ grundsätzlich für abwegig“, sagte die 95-jährige Raucherikone in einem Interview mit „Zeit“-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo im vergangenen Herbst, denn „dann könnten wir unsere Beziehung zum Beispiel mit den Russen ganz auf Eis legen.“ Und natürlich mit den von ihm so verehrten Chinesen. Schmidt würde „für die Menschenrechte in meinem eigenen Staat notfalls auf die Barrikaden gehen“, aber man habe „nicht das Recht, anderen Leuten öffentlich Ratschläge zu geben, wie sie die Menschenrechte verwirklichen.“

Schmidt ist ein unbedingter „Anhänger der Nichteinmischung in die Angelegenheiten eines anderen Staates“ sprichwörtlich unter allen Umständen, „ohne Zusätze“, wie er sagt. Wenn die Vintage-Variante des Radical Chic und der Altersstarrsinn zur Vollfusion gelangen, sieht das so aus, dass die angeblich größte moralische Autorität der deutschen Politik, auf die Frage, ob zumindest die industrielle Ermordung von Millionen Juden eine militärische Intervention rechtfertigt, erklärt, keine Antwort zu haben.

Schmidts Zugang zu Außenpolitik ist, wenn auch in einer weniger deutlichen Formulierungsvariante, inzwischen zum internationalen Mainstream geworden. Ukraine? Puh, schwierig, wollen wir uns wirklich mit Putin anlegen? Sollen die Despoten dieser Welt ihre Bürger umbringen, Amerikaner, Deutsche, Europäer kümmern sich lieber um die Senkung des Rentenalters. Ist irgendwie ehrlicher und auch erfüllender als das ewige Gejammere über politische Häftlinge, Polizeifolter und Beschneidung der Meinungsfreiheit. Hätte man die eigenen Finanzmanager besser kontrolliert, statt sich nach internationalen Interventionsgelegenheiten umzusehen, ginge es uns heute besser, meint nicht nur Helmut Schmidt.

Willkommen im globalisierten Isolationalismus.

E-Mails an:office@michaelfleischhacker.at

Zum Autor:

Michael Fleischhacker (*1969) arbeitete als
Journalist bei der
„Kleinen Zeitung“
und beim „Standard“, ab 2002 bei der „Presse“.
Von 2004 bis 2012 war er Chefredakteur der „Presse“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.02.2014)

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