"Ich verachte Sie!" Ein offener Brief an einen Sprayer

Bevor Sie mich als kleinkarierten Raunzer, Wutbürger oder zwanghaften Ordnungsfanatiker abtun, sollten Sie vielleicht die folgenden Sätze lesen:

Viele werden verstehen, dass ich es nicht über mich bringe, Sie mit „Sehr geehrter“ oder gar als „Herr“ anzusprechen. Selbst wenn Sie männlichen Geschlechts sind – „Herr“ sind Sie für mich keiner. Meine Ablehnung Ihrer Person kann Sie nicht überraschen. Sie haben nämlich die frisch gestrichene Eingangstür des Hauses, in dem ich wohne, besprüht.

Damit beginnt wieder einmal der Kreislauf, an den ich mich seit Jahren nicht gewöhnen will: Die Hausverwaltung lässt das Tor reinigen und neu streichen. Dann wird, wie beim letzten Mal, keine Woche vergehen, bis alles wieder besprayt ist. Keine Botschaft, keinen Protest, keinen Notruf wird man lesen, nur einen sinnlosen Namenszug. Und wieder werden alle Mieterinnen und Mieter des Hauses die Kosten für die Entfernung Ihrer infantilen Schmierereien bezahlen. Nach dem Neuanstrich kann das Spiel von vorn beginnen.

Bevor Sie mich jetzt als kleinkarierten Raunzer, Wutbürger oder zwanghaften Ordnungsfanatiker abtun, sollten Sie vielleicht die folgenden Sätze lesen: Ich kenne die Geschichte der Muralisten ein wenig und könnte Ihnen manches über Siqueiros, Orozco und Diego Rivera erzählen. Die hatten eine gesellschaftliche und künstlerische Botschaft. Politisch waren sie problematisch – ihre Aktivitäten reichten bis zur Unterstützung des Attentats auf Trotzki, künstlerisch aber unbestritten.

Ich habe auch den Kampf von Harald Naegeli, besser bekannt als „der Sprayer von Zürich“, gegen die Monotonie der Städte originell gefunden, und irgendwo unter meinen Büchern befindet sich auch ein Kunstband über Street Art. Schon vor Jahrzehnten habe ich damit begonnen, zwischen Kalifornien, der Bronx, England, Athen und dem Wiener Donaukanal herrliche Graffiti, die ich dort gefunden habe, zu fotografieren. Es sind Kunstwerke darunter.

Sie aber sind kein Künstler. Wo andere dramatische Szenen, Porträts, abstrakte Formen auf Feuermauern zaubern, sprayen Sie infantil immer denselben Namenszug auf Garagentore, Eingangstüren, Geschäftsportale und Fassaden. Allein auf einem Nachbarhaus steht sechs Mal Ihr „puber“. Das „-tär“ haben Sie hinzuzufügen vergessen, falls Sie wissen, was ich meine. Sie wandern durch die Bezirke, aber Sie sind kein Kyselak.

Für mich stehen Sie auf einer Stufe mit jenen Männern, die vor Garageneinfahrten ihr Wasser abschlagen. Nur dass es bei Ihnen keine Körperflüssigkeit, sondern der Inhalt einer Spraydose ist. Sie markieren, doch dieser Vergleich ist eine Beleidigung unserer vierbeinigen Freunde. Die können nicht anders, Sie schon.

Ich glaube nämlich, Sie zu kennen. Nicht persönlich, sondern soziologisch und psychologisch. Sie sind nicht ohne formale Bildung, wahrscheinlich männlich, sie sind kein armer, arbeitsloser oder hart arbeitender Migrant. Sie wohnen in einer bevorzugten Gegend, und die ist auch Ihr Revier: Wenn ich durch die klassischen Arbeiter- und Zuwandererviertel gehe, sehe ich da und dort ein „Hajduk Split Torcida“, aber deutlich weniger Graffiti als im schicken Wien-Neubau.

So wie ich eine Verwaltung verachte, die sich offenbar achselzuckend mit Ihresgleichen abgefunden hat, verachte ich auch Sie. Andere Städte – und zwar gerade solche mit liberaler Grundordnung – haben schon längst die Millionenschäden durch Sprayer beziffert und mit Aufklärungskampagnen begonnen. Bei uns aber herrscht ein resignatives „So samma halt“.

Daher besteht die einzige Chance, Sie zu ergreifen, darin, dass Sie einen Fehler machen: Zum Beispiel, wenn Sie einmal ein NS-Symbol auf die Fassaden malen. Nicht, dass ich mir das wünsche, im Gegenteil, aber eines weiß ich: Dann werden alle aufschreien, dann werden die Medien Sie nicht originell finden, sondern eine Gefahr für die Demokratie wittern. Jetzt schauen noch alle zu, dann werden sich Politik und Behörden vielleicht aufraffen. Aber seien Sie nicht beunruhigt: Bevor das geschieht, befragen wir lieber noch die Anrainer der Mariahilfer Straße.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

Zum Autor:

Kurt Scholz war von 1992 bis 2001
Wiener Stadtschulratspräsident, danach bis 2008 Restitutionsbeauftragter der Stadt Wien. Seit
Anfang 2011 ist er
Vorsitzender des Österreichischen
Zukunftsfonds.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.01.2014)

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