Hans Czermaks lebenslanger Kampf gegen die „g'sunde Watschn“

„Prügel machen frisch und kregel und erweisen sich probat, insbesondre vor der Tat“, heißt es bei Wilhelm Busch. Ein Wiener Arzt bekämpfte dies konsequent.

Zuletzt war wieder einmal eine jener Hiobsbotschaften zu hören, die das Land und die Medien so lieben. Ein Drittel der Österreicherinnen und Österreicher halte immer noch Schläge für ein geeignetes Erziehungsmittel, lautete die Nachricht. Damit habe Österreich seine Vorreiterposition im Kampf gegen elterliche Gewalt verloren, vernahm man– und konnte sich noch kurz wundern, weshalb in der Vergangenheit so wenig von der mustergültigen Rolle unseres Landes zu lesen war.

Zeitgleich zur Befragung über das Erziehungsverhalten hat man auch das übliche Patentrezept gegen elterliche Gewalt präsentiert: die Forderung nach strengeren Strafen. Seltsamerweise kam dieser Vorschlag nicht vom rechten Rand des Politspektrums, sondern von einer Wiener Kinder- und Jugendanwältin. Sie dürfte im medialen Feuereifer übersehen haben, dass höhere Strafdrohungen kaum präventiv wirken. Was Kindern wirklich hilft, sind lückenlose Aufklärungsquoten und sofortige Konsequenzen gegenüber gewalttätigen Eltern. Es ist wie beim Autofahren: Erst die Wahrscheinlichkeit, nicht erwischt zu werden, macht den Raser. Höhere Strafmandate sind ein Ärgernis. Vorbeugend wirken sie kaum.

Am überraschendsten an den Medienberichten war jedoch, dass ein Mann nicht genannt wurde, dem wir verdanken, dass heute nur mehr eine Minderheit Gewalt als Erziehungsmittel befürwortet. Es war der Wiener Kinderarzt Hans Czermak, der sein Leben dem Kampf gegen die „g'sunde Watschn“ gewidmet hat. Für ihn war der „harmlose Klaps“ im Säuglingsalter ein Pyrrhussieg der Pädagogik: Ein fataler Ausgangspunkt für den Verlust von Vertrauen, für Angst, die Gewöhnung an Gewalt, für Aggression und letztlich von Selbstzerstörung.

Hans Czermak ist dafür einen weiten Weg gegangen. Am Beginn stand wohl die Auseinandersetzung mit dem eigenen Vater. Dieser war Gymnasialdirektor, Unterrichtsminister der Ersten Republik, Landesschulratspräsident von Niederösterreich – und ein vehementer Antisemit, für den die Juden „wurzellos“, „entartet“ und „Schädlinge am Wirtsvolk“ waren. Hans Czermak, der Mediziner, emanzipierte sich von seinem Vater, ohne ihn zu verleugnen. Auch der Sohn führte einen Kreuzzug. Sein Credo war, dass die „g'sunde Watschn“ krank macht. Zu seiner Zeit wurde er als „Kinderapostel“ verspottet. Heute würde man ihn einen Gutmenschen nennen, der die Illusion habe, in das Verhalten von Erwachsenen in den eigenen vier Wänden eingreifen zu können.

Tatsächlich hat er es geändert, auch wenn das, wofür er kämpfte, nicht neu war. Die Wurzeln des Züchtigungsverbots reichen in Österreich bis ins 19.Jahrhundert zurück. Schon im Reichsgesetzblatt vom 20.August1870 stand für die Schulen: „In keinem Fall dürfen Strafen das sittliche Gefühl des Kindes oder dessen Gesundheit gefährden.“ Und unmissverständlich: „Die körperliche Züchtigung ist unter allen Umständen von der Schule ausgeschlossen“ – ein Gesetz, das mit dem Ende der liberalen Ära mehr als hundert Jahre lang verdrängt und vergessen wurde.

Czermak konnte knapp vor seinem Tod noch den Erfolg seines Kampfes gegen elterliche Gewalt erleben. Er bestand in einem Halbsatz: „Die Anwendung von Gewalt und die Zufügung körperlichen oder seelischen Leides sind unzulässig“, heißt es im ABGB. Obwohl manche Juristen das als eine „Lex imperfecta“ verspottet haben, ist seither die Zahl der Erwachsenen, die das Züchtigen von Kindern verharmlosen, von einer Mehrheit zur Minderheit geworden.

Hans Czermak ist vor 25 Jahren gestorben. Er hat uns gezeigt, was ein einzelner Mensch gegen Unverständnis und Hindernisse bewegen und verändern kann. Wie Ignaz Semmelweis ein „Retter der Mütter“ war, ist Czermak der Retter vieler Kinder gewesen. Er hatte mehr anzubieten als die Forderung nach höheren Strafen. „Die Presse“ hat seinen Appellen stets Raum gegeben. Er verdient auch heute zumindest ein kleines literarisches Denkmal.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zum Autor:

Kurt Scholz war von 1992 bis 2001
Wiener Stadtschulratspräsident, danach bis 2008 Restitutionsbeauftragter der Stadt Wien. Seit
Anfang 2011 ist er
Vorsitzender des Österreichischen
Zukunftsfonds.

Anmerkung

Ein kontroversieller Artikel in der „Presse am Sonntag“ zum Thema „Strafen in der Kindererziehung“ hat für Empörung gesorgt. Wir nehmen diese ernst.

Eine Stellungnahme der Chefredaktion finden Sie HIER.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.12.2014)

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