Sarah schlägt Adolf, Hans stürzt ab: Das Alte Testament ist in

Vornamen zeigen, was Menschen wollen, was sie glauben und wovor sie sich gerade fürchten. Vornamen sind Spurenelemente der Volksseele.

Kaum etwas ist für die Geschichtsschreibung schwieriger, als die Seelenlage einer Generation zu erfassen. Meinungsbefragungen sind ein relativ junges Instrument und unterliegen dem Heucheln vieler Befragter. Tagebücher sagen mehr aus, bleiben aber das Steckenpferd einer Minderheit. Briefe verschwinden. Dennoch gibt es einen Indikator, der so selbstverständlich und allgegenwärtig ist, dass wir ihn oft übersehen: Es sind die Vornamen.

Sie zeigen kulturelle Vorlieben, weltanschauliche Einstellungen und Zukunftserwartungen. Mit dem Namen gibt man dem Kind eine gute Absicht. Im Grunde hat sich seit den Zeiten der Kaiser wenig geändert: In katholischen Reihen wählte man Heiligennamen. Nannte man einem Zarensohn Alexander, war er auf Eroberungszüge programmiert.

In meiner Schulzeit dominierten ländlich-christliche Vornamen. Meine Freunde hießen Hans, Gerhard, Leo, Günter, Hubert oder Martin. Bei den Mädchen dominierten die brave Christl, die heilige Barbara und die traute Renate.
Hieß jemand Ekkehard, Hans-Jürgen oder Siegmar, verriet das etwas über die Weltanschauung der Eltern. Kurt war eher ein Einzelfall – nicht katholisch und kaum oberösterreichisch. Fremdländische Vornamen waren tabu. In all dem zeigte sich eine geschlossene, katholisch geprägte Nachkriegsgesellschaft, in die nur mehr vereinzelt „nationale Namensbekenntnisse“ ragten.

Mit der Internationalisierung veränderten sich die Vornamen. Allmählich hießen die Buben nicht mehr Karl, sondern Kevin, die Mädchen nicht Sigrid, sondern Samantha. Auch die „vaterlose Gesellschaft“ zeigte sich in der Namensgebung. Nur mehr selten vererbte man einem Buben automatisch den Vornamen des Erzeugers. Parallel zu den Vätern verloren die Politiker ihren Namenseinfluss. Viktor Klima trug noch den Vornamen des Gründers der Sozialdemokratie.

Kreisky prägte die Republik, doch Bruno schlug sich in der Statistik ebenso wenig nieder wie Mocks Alois. Parallel zur Westintegration gab man den Kindern lieber internationale Namen: natürlich nur von Kulturkreisen, die man sympathisch fand. Ein Hussein, wie Obamas zweiter Vorname lautet, würde einer alteingesessenen Familie bis heute nicht einfallen. Auch Tarek, ein Name, der im Koran vorkommt, bleibt eine Seltenheit. Allerdings mit bemerkenswerter prognostischer Qualität. Im Arabischen bedeutet Tarek unter anderem: einer, der abendlich an die Tür klopft.

Am erstaunlichsten ist aber die Renaissance alttestamentarischer Vornamen. Seit 30 Jahren ist die Popularität von Hannah, Judith und Miriam ungebrochen. Die größte Neubewertung aber hat Sara erfahren. In der Generation meiner Großeltern stigmatisierte das eingestempelte „Sara“ eine ganze Menschengruppe. In den 1950er-Jahren hätte der Name vielfach noch Misstrauen oder Spott hervorgerufen. Heute ist Sarah konstant im Spitzenfeld der populärsten Namen. Ein Name siegte – es ist ein neues Denken, das sich hier niederschlägt.

Vornamen zeigen, womit sich Eltern identifizieren und was sie ablehnen. Denken Sie etwa an Adolf. Der Name erzielte in den 1930er-Jahren einen steilen Aufschwung. Wissen Sie, wann der endete? Nein, nicht erst 1945. Schon ab 1942 verzichteten die Eltern darauf, einen Sohn Adolf zu nennen. Mit dem Glauben an den Endsieg verschwand auch der Name.

Auch jüngste Entwicklungen sind aufschlussreich. In deutschen Taufregistern gibt es ein neues Phänomen. Man kann es Gentrifizierung nennen: Kinder tragen drei oder vier klanghafte Vornamen, die exklusiv und vornehm wirken sollen. Sie heißen Frederick Theodor August oder Leonore Anna Therese Chiara – eine Namensgebung, die nach Landadel oder Diplomatie klingen soll und mit der man sich, au-dessus de la mêlée, vom „einfachen Volk“ abheben will. Vornamen sind Spurenelemente der Volksseele. Dass Sarah den Adolf besiegte, kann uns freuen.

Zum Autor

Kurt Scholz war von 1992 bis 2001 Wiener Stadtschulratspräsident, danach bis 2008 Restitutionsbeauftragter der Stadt Wien. Seit Anfang 2011 ist er Vorsitzender des Österreichischen Zukunftsfonds.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.01.2015)

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