Politik als Schwarzer-Peter-Spiel: Die Schule wird's schon richten

Integration, Pflege, Gesundheit: Wie man immer mehr gesellschaftliche Probleme in die Hände der Lehrerinnen und Lehrer schwindeln will.

Vergangene Woche wurde eine Studie des Sozialministeriums vorgestellt. Sie zeigt auf, wie viele Erwachsene von Kindern gepflegt werden. Nun ist schon die Tatsache, dass Zehn- oder Zwölfjährige regelmäßig für einen Elternteil sorgen müssen, traurig genug. Schockierend aber sind die Zahlen: Etwa 40.000 Kinder springen bei der Pflege von Angehörigen ein. Dem soll jetzt abgeholfen werden. Die Frage ist: Wo beginnen?

Als Erstes werde man, so ein Regierungsmitglied, Plakate an die Schulen verteilen. Ich halte diesen Schritt für gut. Denn an den Schulen gibt es, im Gegensatz zur Schwarzmalerei sogenannter Experten, Lehrerinnen und Lehrer, die nicht blind für die sozialen Probleme der Kinder sind. Sie werden für Informationen, wer Kindern helfen kann, dankbar sein.

Vielleicht hätten sich die Lehrerinnen und Lehrer aber gefreut, wenn sie schon früher mehr Wertschätzung erfahren hätten, und nicht erst dann, wenn gesellschaftliche Probleme aufbrechen. Jetzt also werden die Schulen nicht nur Skikurse und Theaterbesuche organisieren, Sexualaufklärung betreiben und Kindertränen trocknen, sondern auch Hinweise auf Pflegemöglichkeiten geben.

Schön wäre freilich, wenn sie dafür ein „Bitte“ und „Danke“ hörten und nicht das leise mitschwingende „Endlich“. Sie sollen politische Bildung für Jugendliche mit Migrationshintergrund verpflichtend machen – endlich, Integrationsbereitschaft bewirken – endlich, demokratische Werte vermitteln – endlich, Pflegestellen empfehlen – endlich. Als ob sie vorher die Daumen gedreht und nichts getan hätten.

In einem Interview hat der Leiter der Studie auf die positive Rolle der britischen Schulen beim Thema „Kinder und Pflege“ hingewiesen. Vielleicht hat er dabei einen Unterschied übersehen. Britische Eltern verlangen von den Schulen viel, aber sie respektieren deren Arbeit. Die britische Gesellschaft schätzt ihre Lehrerschaft. Ein Film wie „Frau Müller muss weg“, in dem empörte Eltern ultimativ die Entlassung einer Lehrerin verlangen, kommt aus Deutschland, nicht aus England. Er könnte auch aus Österreich sein – schließlich ist die Schilderung des Negativen das gefeierte Hauptthema des neuen österreichischen Kinos.

Um dieses Negative geht es: Seit Jahren kreist die österreichische Schuldiskussion um Systemfehler und pädagogische Versager. Ob diese in den Schulen häufiger als in anderen Berufszweigen anzutreffen sind, sei dahingestellt. Es gibt auch ärztliche Kunstfehler, schlechte Journalisten, Winkeladvokaten und übergriffige Polizisten. Dennoch wäre es närrisch, unsere Spitäler, Medien, den Rechtsstaat und die Sicherheitsbeamten zu verteufeln. Nur bei der Schule hoffen wir, durch negative Stereotype den Boden für Reformen aufzubereiten.

Nennen wir nur Lehrerinnen und Lehrer Pauker, Minderleister und Freizeitkönige, und schon wird die Schule besser. International weiß man, dass Dauervorwürfe der falsche Weg sind. „We've tried to kick the teachers in the ass to make the schools better“, hat das neulich eine amerikanische Erziehungswissenschaftlerin kritisiert. Wertschätzung – nein danke.

Nur dann, wenn die Verantwortlichen für Integration, Sicherheit und die Pflege ratlos sind, entsinnt man sich der Lehrerinnen und Lehrer. Dann schickt man ihnen Plakate.

Als Kinder haben wir vielleicht die Erzählung von den Schildbürgern und dem Pferd gelesen. Eines Tages bekommen die Schildbürger ein Pferd. Das Tier ist brav, arbeitsam und hübsch anzusehen. Nur eines stört an ihm: Es frisst Hafer. Die Schildbürger beschließen, ihm das abzugewöhnen. Sie geben dem Pferd jeden Tag einen Halm Hafer weniger, bis ihr Ziel erreicht ist: Das Pferd schaut zwar nicht mehr gesund aus und arbeitet nur mehr mit Mühe. Aber: Es ist des Fressens entwöhnt! Die Schildbürger feiern ein Freudenfest. Wie endet die Geschichte? Am nächsten Tag verschied das tückische Tier.

Wertschätzung ist das Nahrungsmittel der Schule. Sie benötigt mehr davon. Nur Schildbürger und Narren verweigern sie ihr.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zum Autor:

Kurt Scholz war von 1992 bis 2001
Wiener Stadtschulratspräsident, danach bis 2008 Restitutionsbeauftragter der Stadt Wien. Seit
Anfang 2011 ist er
Vorsitzender des Österreichischen
Zukunftsfonds.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.02.2015)

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