Medienschelte – nein danke! Selbstkritische Journalisten – bitte ja!

Natürlich ist die Politik an allem schuld. Fragt sich nur, weshalb so wenige Kritiker des politischen Geschäfts sich darum drängen, es besser zu machen.

Die Medien“, sagte mein englischer Gast, als ich versuchte, ihm den hierzulande grassierenden Verdruss über die Politik zu erklären, „sind nicht Teil der Lösung: Sie sind Teil des Problems.“ Mein Einwand, Journalisten seien zu Kritik verpflichtet und dürften sich nicht von Macht und Prominenz blenden lassen, wurde hinweggefegt: „Denken Sie doch nur daran, wie über Politiker berichtet wird und wie unterwürfig dieselben Medien über Königshäuser schreiben. Eine Ministerin müsste eine Prinzessin sein. Dann würden die Adelsspezialistinnen aller Blätter sich nur mehr mit ihrem Kleid beschäftigen und ob vielleicht ein Schwangerschaftsbäuchlein zu sehen ist. Die Königshäuser streichen Steuergelder ein, selbst wenn sie sich mit Pferdepolo, der Hundezucht und eigenen Affären beschäftigen. Politiker können da vor Neid nur erblassen.“

Soweit mein Gast. Sein Gedanke ist reizvoll. Tatsächlich sind die meisten Medien heute Selbstbedienungsläden mit diversen Abteilungen. In einer wird die Politik abgehandelt, in einer anderen von der Society berichtet. Die Kommentare sind scharfzüngig, die Gesellschaftskolumnen romantisch: Sie erzählen Märchen. Irgendwo dazwischen befinden sich Wirtschaftsteil, Kulturberichterstattung, Sport und Feuilleton.

Wäre es nicht lustig, einmal die eine Redaktion mit den Aufgaben der anderen zu betrauen? Dann würden die Finanzexperten zu den Salzburger Festspielen fahren und könnten die Quellen des Reichtums und die Abgabengestaltung von Festspielgästen kommentieren. Die Innenpolitik-Experten würden die Gesellschaftsreporter ablösen und die Royals nicht nach der beliebtesten Hunderasse fragen, sondern nach deren Staatsbesuchen bei Diktatoren und Menschenrechtsverletzern. Der Chefredakteur würde Arnold Schwarzenegger interviewen, warum er als Gouverneur Todeskandidaten die Begnadigung verweigert hat und mit seinem „Yes, I believe in the death penalty“ (CNN, 30. April 2013) nach wie vor als Befürworter des staatlichen Mordes auftritt. Wahrlich, wie zuletzt in diesem Blatt zu lesen, ein „österreichisch-amerikanisches Multitalent“. Würde ein Landeshauptmann oder Justizminister ebenso billig davonkommen?

Verweilen wir noch ein bisschen beim redaktionellen Rollentausch. Könnte nicht die Wissenschaftsredaktion einmal die Jahreseinkommen österreichischer Universitätsrektoren mit denen der früheren Wissenschaftsminister vergleichen? Und die Frage anschließen, weshalb sich tüchtige Rektoren – wie auch Primare, Wirtschaftsanwälte, Bank- und Versicherungsdirektoren – nicht gerade darum reißen, Politiker zu werden? Aber gleichzeitig der Meinung sind, die Politik müsse endlich besser werden?

Ließe man andere als die Innenpolitik-Experten über unsere Politiker berichten, würde sich vielleicht ein realistisches Bild ergeben. Es würde zeigen, dass Regierungsmitglieder im Schnitt viel arbeiten und durch die Politik nicht reich werden. Dass ihr Privatleben bieder und wenig glamourös verläuft und sie vom Bürgermeister der Kleingemeinde bis zum Regierungsmitglied Mühe haben, der eigenen Familie den Zeitaufwand zu erklären.

Selbst das zum Symbol für Privilegien gewordene Dienstauto würde sich dann rasch als normaler Arbeitsplatz entpuppen.

Denkt man also ein redaktionelles Cross-over zu Ende, würden die Societyreporter bei den Regierenden wenig Stoff zum Klatsch finden, die Wirtschaftsreporter enorme Probleme bei der Rückkehr von der Politik in die Privatwirtschaft und die Kulturredakteure ein überdurchschnittliches Leseverhalten. Die Sportreporter wiederum wären über den jahrelangen Marathon von Sitzungen, Ansprachen, Reisen und Abend- und Wochenendveranstaltungen erstaunt.

Der reizvollste Perspektivenwechsel stünde aber noch aus: der vom politischen Kommentator zum aktiven Politiker. In der Vergangenheit gab es dazu einige Beispiele. Sie sind aufschlussreich. Wirkliche Erfolge waren sie nicht.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zum Autor:

Kurt Scholz war von 1992 bis 2001
Wiener Stadtschulratspräsident, danach bis 2008 Restitutionsbeauftragter der Stadt Wien. Seit Anfang 2011 ist er
Vorsitzender des Österreichischen
Zukunftsfonds.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.10.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.