Seht her, ein Poet! Journalismus, Literatur und das runde Leder

Die Fußball-EM in Frankreich hat es wieder gezeigt: Je trockener unser Alltag, desto schöpferischer blühen und gedeihen die Sportberichte.

Unsere Sprache wird immer prosaischer. Regierungserklärungen klingen nach Bilanzberichten, Parteiprogramme – so es sie noch gibt – sind blutleer und verstaubt. Ein Hauch an Poesie ist nur noch zu spüren, wenn Politiker Werbeslogans („Ein guter Tag beginnt mit einem sanierten Budget“) variieren.

Auch in der sogenannten schönen Literatur herrscht neue Sachlichkeit: Keine goldnen Sternlein prangen am Himmel hell und klar, kein Wald steht schwarz und schweiget, die Bächlein nicht mehr von den Bergen springen, und Honig rinnt nicht schwer aus hohlen Waben. Auch den müden Blick des Panthers suchen wir vergebens. Allenthalben begegnen wir den gleichen Formeln und Phrasen. „Es ist meine tiefste Überzeugung, dass die Phrase und die Sache eins sind.“ (Karl Kraus.)

Und doch gibt es, die gerade am Sonntag zu Ende gegangene Fußball-EM in Frankreich hat es gezeigt, Ausnahmen. Nicht in den Leitartikeln und Kommentaren findet man sie, sondern im Sportteil. Dort hat man noch den Mut zur Metapher, zum blumigen Vergleich, zum Portmanteau und zur Parabel. So las ich im „Standard“ einen Bericht über das Spiel unserer Fußballer gegen Ungarn. Welche poetische Fülle tat sich da auf! Ein kühnes Sprachbild jagte das andere. Alaba habe einen „Flatterball“ geschossen, der die „ungarische Trainingshose zwischen den Pfosten gefrieren ließ“. Leider aber habe der Ball „nur das Aluminium geküsst“.

Mir war, als hätte, siehe Eichendorff, „der Himmel die Erde still geküsst“. Nein: der Ball das Aluminium – ein Bild voll bewegender Schönheit. Mit einer kleinen Einschränkung des sprachgewaltigen Sportreporters: Die Passqualität der Österreicher sei „alles andere als erstes Schlagobers“ gewesen. Welche Synästhesie! Hier die Schüsse, die man sehen, dort die Sahne, die man schlecken kann.

Unsterbliche Talente zeigen sich in solchen Berichten! Nicht in den Sportteil gehören sie, sondern zum Wettlesen nach Klagenfurt. Dort hätten die Jurorinnen und Juroren vielleicht mit der Eindeutschung von Highlight zu Hochlicht Probleme, aber das Antitheton „das Hochlicht seines Ferslers wurde vom Schatten eines Querpasses verdrängt“ würden sie kennerhaft genießen.

Und erst die Alliterationen! Verteidiger, die Flanken fressen, Slidings und Stangler, Flanken und Fersler, clever und Kopfball! Sätze wie „Junuzović, unser leichtfüßiger Hirsch mit Pferdelunge“ erinnern an Homer. Und dann der Rhythmus der Sprache! Ein „Anstoß ohne Fehl und Tadel“, „rechtes Fußgelenk bei Einstieg“ und als Highlight, nein, Hochlicht: „Hektik, die Mutter des Fehlstarts“. Vierhebige Trochäen, wenn ich mich recht erinnere, trochaios, griechisch und passend zum Fußball: „laufend, schnell“ – auf Goethes Versspuren wandelt der Sportreporter: „Füllest wieder Busch und Tal“, an Grillparzer erinnert er, „Öffne dich, du stille Klause, denn die Ahnfrau geht nach Hause“, auch Herder: „Trauernd tief saß Don Diego“ – was sich, nach dem Ausscheiden unserer Helden, unschwer in „Trauernd tief saß unser Trainer“ umdichten ließe.

Der Fußball hat immer schon Dichter und Denker bewegt. Jean Paul Sartre etwa. Ihm verdanken wir wichtige existenzialistische Erkenntnisse. „Fußball“, orakelte er, „verkompliziert sich allerdings durch die Anwesenheit der gegnerischen Mannschaft.“ Wie wahr, wie feinsinnig formuliert – man beachte nur das eingeschobene „allerdings“.

Die Einladung an die Kicker „Das Runde gehört ins Eckige!“ stammt – allerdings – nicht, wie man vermuten könnte, von einem Bauhausarchitekten, sondern einem Fußballtrainer. Sicher, da und dort gibt es Spielverderber, etwa Martin Walser („Sinnloser als Fußball ist nur noch das Nachdenken über Fußball“). Aber solche hinterhältigen Fouls werden durch die größten Komiker der 1970er-Jahre mehr als aufgehoben. 1972 drehten Monty Python den Sketch „The Philosophers‘ Football Match“. Entschieden wurde das Spiel durch eine Fehlentscheidung. Wie, ist auf YouTube zu sehen.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zum Autor:

Kurt Scholz war von 1992 bis 2001
Wiener Stadtschulratspräsident, danach bis 2008 Restitutionsbeauftragter der Stadt Wien. Seit Anfang 2011 ist er
Vorsitzender des Österreichischen
Zukunftsfonds.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.07.2016)

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