Wie uns die Verlage das Lesen vermiesen

Dank der Herren von und zu Guttenberg und Johannes Hahn erlebt die Fußnote derzeit eine Renaissance. Ihr tragischer Abstieg ist dennoch unaufhaltsam.

Quergeschrieben

In den letzten Monaten durften wir Zeugen eines erstaunlichen Phänomens werden: Teile der bundesdeutschen und österreichischen Nation entpuppten sich als Fußnotenexperten. Fragen der Anmerkungen und des wissenschaftlichen Apparats wurden mit Furor und – zumindest in Deutschland – Konsequenzen diskutiert. Was bisher klein gedruckter Augensand am Seitenende war, erhielt plötzlich eine politisch-moralische Dimension. Nicht schummeln dürfe man, riefen die bekanntlich jedem Plagiat abholden Medien im Chor, auch die Wissenschaftsministerin konnte nicht länger schweigen: Die Regeln für korrektes Zitieren wolle sie prüfen – als ob die Homepage der Uni Wien nicht reichte: „Die verwendete wissenschaftliche Literatur muss für den Leser nachvollziehbar sein und sämtliche verwendete Literatur angegeben werden“ steht da – man müsst' es nur einhalten und ein bisserl kontrollieren.

Fußnoten sind ein Zwischending aus Wissenschaft und Kunst. Sie entstanden in den kirchengeschichtlichen Werken des Mittelalters aus Randnotizen und Annotationen zu Bibeltexten. Ihre Hochzeit hatten sie im 18.Jahrhundert. Damals wurde die Fußnote zum unentbehrlichen Stilmittel für Literaten wie Historiker. Lawrence Sterne unterbricht und korrigiert den Erzählfluss seines eigenen „Tristram“ immer wieder mit ironischen Fußnoten. Edward Gibbons Meisterwerk über den „Verfall und Untergang des römischen Weltreiches“ besteht im Original zu über einem Fünftel aus Anmerkungen, die vor Sarkasmus triefen. Berühmt-berüchtigt etwa seine Fußnote zur Selbstkastration des frühchristlichen Theologen Origenes: „Da er sonst die Heilige Schrift allegorisch zu nehmen pflegte, ist zu beklagen, dass er ihr in diesem Fall buchstäblich folgte.“ So etwas wurde von Gebildeten geschlürft und von Theologen bekämpft. Im 19.Jahrhundert (Anthony Grafton erzählt das in „The Footnote: A Curious History“, 1997) entwickeln sich mit dem Geschichtswerk Leopold von Rankes die modernen Zitierregeln. Ein Pro und Kontra zu der im deutschsprachigen Wissenschaftsbetrieb etwas zwanghaften Routine des Belegens von Textstellen blieb dennoch.

Heute befindet sich die Fußnote im Rückzug. Ihre Lage ist hoffnungslos. Gewissenlose Verleger haben sie vom Seitenende an den Schluss der Bücher verbannt, als End-, nicht Fußnote. Seither ist der neugierige Leser dazu verdammt, pausenlos rück- und vorwärtszublättern: vom Text zu den Endnoten, die er dort im richtigen Kapitel suchen darf, wieder nach vorne zum Text, und das einige hundert Mal. Fußnoten am Ende der Seite störten den Leserhythmus, lautet das fadenscheinige, dumme Argument der Büchervertreter. Die Autorinnen und Autoren historischer Studien scheinen vor dieser gewissenlosen Praxis resigniert zu haben, und auch unter den Schriftstellern erinnern nur mehr wenige an die hohe Kunst der Fußnote. Heimito von Doderer in den „Merowingern“ (die Fußnote über die „Nasenzange“ etwa) oder das Erzgenie H. C. Artmann: In seinem „Aeronautischen Sindtbart“ lesen sich die Anmerkungen mindestens so vergnüglich wie der Text. „Schutzlos“ seien die Fußnoten, schreibt er dort, „arme Verwandte im Souterrain des reichen Neffen Text“. Schuld daran seien die Bücherproduzenten. Artmann grimmig: „Den Herren Verlegern sei noch geraten, künftig auch einmal der Gattung Fußnote ihre florilegistische Aufmerksamkeit zu schenken.“ Eine Einladung, hinter die man nur drei fette !!! setzen kann.


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("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.04.2011)

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