Europa braucht einen Reformschub Frau Merkel kann ihn realisieren

Die deutsche Bundestagswahl am Wochenende ist eine Richtungswahl – weniger innenpolitisch. Es geht vielmehr darum, welche Rolle Deutschland in Europa und in der Welt künftig einnehmen will.

Außer beim Thema Steuern sind bei den beiden großen politischen Lagern der Bundesrepublik, Union und SPD, keine dramatischen Unterschiede auszumachen. Während die regierende Bundeskanzlerin Angela Merkel mit den Unionsparteien mit 40 Prozent der Stimmen rechnen kann, müssen die Sozialdemokraten darum kämpfen, ihr historisch bisher schlechtestes Resultat von 23 Prozent bei der letzten Wahl nicht noch zu unterbieten.

Wenn es sich ausgeht, wird daher die bisherige schwarz-gelbe Koalition fortgesetzt; wenn nicht, wird Merkel wohl mit den Sozialdemokraten regieren. Der Unterschied zu bisher: keiner! Dennoch steht in Merkels dritter Amtszeit eine Richtungsentscheidung an. Diese ist wohl von ähnlich historischer Tragweite wie jene der Wiedervereinigung Deutschlands, beziehungsweise der logisch daraus folgende Schritt: Auf Deutschland wartet die Rolle als klare Führungsmacht in Europa und eine stärkere Positionierung in der Weltpolitik.

Schon rund um die Wiedervereinigung 1990 gab größte Bedenken gegenüber einer deutschen Vormachtstellung. Bemerkenswerterweise kamen diese Vorbehalte weder von den Amerikanern noch von den Sowjets. Es war Großbritanniens Premierministerin Margaret Thatcher, die unverblümt warnte: Deutschland habe immer auf unberechenbare Weise zwischen Aggression und Selbstzweifel geschwankt und sei eine destabilisierende Kraft in Europa.

Frankreichs Präsident François Mitterrand tat es Thatcher gleich. Er versuchte noch im Dezember 1989, also schon nach dem Mauerfall, die DDR durch Abschluss eines Handelsabkommens zu stützen, um so die Wiedervereinigung zu verhindern.

Inzwischen sind über 20 Jahre vergangen. Die Stimmung gegenüber einem stärkeren Deutschland hat sich geändert. Das britische Magazin „The Economist“ titelt diese Woche mit „One woman to rule them all“ und ruft die deutschen Wähler dazu auf, Merkel nicht nur als Kanzlerin, sondern auch als Europas „Leader“ im Amt zu bestätigen. Schon allein sprachlich tun sich die Briten leichter, müssen sie erst gar nicht den Begriff „Führerin“ verwenden oder irgendwie umschreiben.

Hier liegt der Kern des Problems begraben: Kann Deutschland, nicht ganz 70 Jahre nach Hitler, den Begriff Führer bereits erfolgreich entgiftet haben? Kann Berlin in Europa politische Entscheidungen diktieren, wo es noch Menschen gibt, die die Terrorherrschaft der Nazis erlebt haben?

Tatsächlich hat Europa dringend eine Vielzahl an Reformen nötig, um nicht den Anschluss (schon wieder so ein belastetes Wort) an die rasante weltwirtschaftliche Entwicklung verlieren. Allen voran müssen die Eurokrise und jene der EU insgesamt gemeistert, Großbritannien an Bord gehalten werden. Quer durch alle EU-Staaten müssen die Steuern und Abgaben gesenkt, der Dienstleistungsmarkt liberalisiert und der öffentliche Sektor verschlankt werden.

Die Forschung und Ausbildung an den Universitäten müssen verbessert werden, um wieder ins internationale Spitzenfeld vorzudringen, das derzeit weitestgehend von den USA dominiert wird. Eine Herkules-Aufgabe, für die es einer dynamischen, inspirierten und mutigen Führung bedarf. Und diese kann derzeit nur eine wiedergewählte Bundeskanzlerin Merkel an der Spitze eines selbstbewussten Deutschland leisten.


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("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.09.2013)

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