Zocker Uli Hoeneß: Nein, das ist nicht die ganze Wahrheit

Allzu schnell waren sich allzu viele Deutschen allzu einig darüber, dass Uli Hoeneß mit dreieinhalb Jahren Haft eine gerechte Strafe erhalten hat.

Dreieinhalb Jahre Haft erhielt vergangene Woche der langjährige Präsident des deutschen Rekordmeisters FC Bayern München, Uli Hoeneß, von einem Gericht dafür aufgebrummt, dass er einen Steuerschaden im Umfang von 28,3 Millionen Euro verursacht hat. Ob diese Strafe gerecht ist? Es gibt gute Gründe dafür, noch einmal über das Urteil nachzudenken.

Noch gut ist mir aus Schulzeiten die Frage eines Lehrers in Erinnerung: „Was ist eigentlich Recht?“, fragte er und beantwortete es gleich selbst. „Das ist ganz einfach: Ein schickes Auto ist schnell unterwegs und wird dabei von einem neidigen Passanten beobachtet. Wenn der Autofahrer dann einen Unfall baut, ruft der Zuschauer triumphierend aus: ,Recht g'schieht ihm!‘“

Der Bayern-Präsident erhielt also für Steuerhinterziehung 3,5 Jahre Haft unbedingt. Am gleichen Tag wurde übrigens in Wien ein Mann für Sex mit einer Elfjährigen zu neun Monaten bedingter Haft verurteilt.

Offensichtlich ist eine Werteverschiebung in unseren Rechtssystemen im Gang, die bemerkenswert ist. Viele Jahre und Jahrzehnte wurde allein schon der Gebrauch von Haschisch oder Marihuana unter schwere Strafe gestellt; der weltweite Anbau und Handel mit diesen Drogen wurde mit einem unglaublichen Einsatz an Geldmitteln bekämpft. Gleichzeitig blieb der mindestens genauso schädliche Alkoholkonsum erlaubt und – auch bei Jugendlichen – durchaus gesellschaftsfähig.

Ausgehend von einigen Ländern Südamerikas, einer immer größer werdenden Zahl von US-Bundesstaaten und zuletzt etlichen europäischen Ländern wird der Konsum leichterer Drogen jetzt zunehmend legalisiert. In wenigen Jahren werden die ersten Hollywood-Filme auftauchen, in denen man die Bekämpfung der Drogen ebenso belächeln wird, wie unsere Generation über die Zeiten der Prohibition in den ersten Jahrzehnten des 20.Jahrhunderts geschmunzelt hat.

Uli Hoeneß sei spielsüchtig gewesen, ein Zocker. Er habe einfach die Übersicht über die gewaltigen Gewinne und Verluste verloren, die er gemacht habe und deshalb Steuern hinterzogen. Das ist aber sicher nicht die ganze Wahrheit. Schließlich hatte Hoeneß zur gleichen Zeit ein Wertpapierdepot in Deutschland, mit dem er ähnliche Geschäfte betrieben und diese auch ordnungsgemäß versteuert hat.

Was steckt sonst noch hinter seinem Fehlverhalten? „Ich zahle als Lohnsteuer- und Einkommensteuerpflichtiger inklusive Lohnnebenkosten mindestens 50Prozent meines Einkommens an den Staat. Wenn man Mehrwertsteuer, Kapitalertragsteuer und sonstigen Abgabenwahnsinn dazuzählt, dann sogar mehr als 50 Prozent“, schrieb sich vor einigen Tagen eine Facebook-Benutzerin ihren Frust von der Seele. Den Frust darüber, dass sie in jedem Kalenderjahr von Anfang Jänner bis Mitte August ausschließlich und zu 100 Prozent dafür arbeite, Steuern und Abgaben zu bezahlen.

Der britische Nobelpreisträger James Alexander Mirrlees hat bereits Anfang der 1970er-Jahre eine Diskussion über einen optimalen Steuersatz angefacht.

Obwohl Mirrlees damals Berater der Labour Party war, die einen Höchststeuersatz von über 80 Prozent eingeführt hatte, errechnete er das Optimum bei 20 Prozent. Spätere Berechnungen ergaben einen Satz von 20 bis 30 Prozent. Das bedeutet, dass dies jener Steuersatz ist, bei dem die meisten Menschen zu arbeiten bereit und am steuerehrlichsten sind.


Ob wir es mögen oder nicht: Menschen trinken Alkohol, konsumieren Drogen, rauchen Zigaretten, fahren zu schnell mit dem Auto, sind spielsüchtig und wollen mitunter Geld, viel Geld verdienen und davon nicht gleich wieder den größten Teil als Steuern an den Staat abliefern. Das lässt sich auch mit noch so rigorosen Strafen nicht verhindern.

Die generalpräventive Wirkung des Hoeneß-Urteils wird daher nicht höhere Steuerehrlichkeit sein, sondern die weitere Abwanderung von Gutverdienern und die Suche nach noch besseren und sicheren Steueroasen in der Welt.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zum Autor:

Mag. Martin Engelberg ist Psychoanalytiker, Geschäftsführer der Wiener Psychoanalytischen Akademie,
geschäftsführender Gesellschafter der Vienna Consulting Group sowie
Mitherausgeber des jüdischen Magazins „NU“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.03.2014)

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