Wladimir Putins erbitterter Kampf mit den Waffen von vorgestern

Lügen, Umkehrung der Realität, Diffamierung der Gegner und das Anwerfen einer riesigen Propagandamaschinerie sind Russlands Methoden in der Ukraine-Krise.


Der russische Präsident, Wladimir Putin, kann einem fast schon leidtun. Er führt einen Kampf gegen den Westen mit Mitteln, die 50 Jahre alt und mehr sind. Dementsprechend sind die Erfolgsaussichten zu bewerten.

Schon der Einsatz von russischen Soldaten ohne Hoheitsabzeichen bei der Besetzung der Halbinsel Krim war der erste Hinweis auf die fast kindische Strategie Putins. Lügen, Umkehrung der Realität, Diffamierung der Gegner und das Anwerfen einer riesigen Propagandamaschinerie beherrschten auf der Seite Russlands von Anfang an das Krisengeschehen rund um die Ukraine. Augenblicklich fühlte man sich an die Methoden der Sowjetunion zurückerinnert, in der auch ständig neue Realitäten geschaffen wurden; und sei es, indem zum Beispiel auf Fotografien unliebsam gewordene Personen mit viel Mühe wegretuschiert wurden.

Heute reicht der Arm der russischen Propagandamaschine bis in heimatliche Gefilde: Eine große Zahl sogenannter Trolls (Leute, die im Internet die Debatten regelmäßig stören, Desinformationen verbreiten, Andersdenkende diffamieren und beschimpfen) überfluten regelmäßig die Russland-Diskussionen in den Online-Foren. Die „Neue Zürcher Zeitung“ berichtete vor Kurzem, dass eine russische Agentur mit Verbindung in den Kreml Hunderte dieser Trolls für die Verbreitung von Propagandamaterial – mit teilweise gefälschten Daten und Bildmaterial – bezahle.

Ein Krieg sieht dabei heute völlig anders aus. Die vom Westen über Russland verhängten Wirtschaftssanktionen zeigten schon nach relativ kurzer Zeit massive Auswirkungen: Seit Anfang 2014 hat der Rubel 60 Prozent seines Wertes verloren; geschätzte 100 Milliarden Dollar an Kapital wurden in diesem Jahr bereits aus Russland abgezogen; die Regierung in Moskau musste 220 Milliarden Dollar zur Refinanzierung russischer Banken und zur (erfolglosen) Verteidigung des Rubel-Kurses einsetzen; die Inflation steigt, insbesondere für Lebensmittel. Nach Schätzungen des britischen Wochenmagazins „Economist“ reichen die jetzt noch vorhandenen liquiden Devisenreserven Russlands gerade noch für etwa drei Monate zur Bezahlung der Importe aus.

Derweil wirft der russische Präsident vermeintliche Atouts ins Spiel: Er sekkiert den Westen mit erratischen Militärmanövern, lässt Militärflugzeuge mit abgeschalteter Kennung durch die westlichen Lufträume fliegen und riskiert damit gefährliche Zwischenfälle. Er lässt auf beinahe schon lächerliche Art und Weise russische Kriegsschiffe vor Australien aufkreuzen, während er dort an einem Gipfeltreffen teilnimmt. Zuletzt verfügte er einen Stopp des Gas-Pipeline-Projekts South Stream.

Putins letztwöchige Rede zur Nation unterscheidet sich fast nicht mehr von den Reden der längst verblichenen Sowjetführer vor Gorbatschow: Der Westen sei der Aggressor, Russland das Opfer, der Rubel-Verfall das Werk von Spekulanten. Dann verkündete er schließlich noch ein paar Allgemeinplätze, wie: Russland brauche Reformen, Effizienz und Investitionen müssten gesteigert werden.

Schließlich stellte Putin in seiner Rede auch noch die „spirituelle Bedeutung der Krim für die Russen“ auf eine Stufe mit der Bedeutung, die der Tempelberg in Jerusalem für Juden und Moslems habe. Das verheißt in vielerlei Hinsicht nichts Gutes. Erstens ist es nicht gerade beruhigend, wenn einer, der sich als Weltmachtführer wähnt, auf der esoterischen Welle daherkommt. Zweitens hat doch gerade die Verschiebung der Diskussionen um den Tempelberg auf die religiös-spirituelle Ebene zur jüngsten Eskalation der Gewalt in Jerusalem geführt, die man sich nicht eben wünschen sollte.

Wladimir Putins Kampf mit den Waffen von vorgestern ist dazu verurteilt zu scheitern. Seine Tage als Machthaber Russlands scheinen daher gezählt. Je schneller und unblutiger seine Ablösung erfolgen wird, desto besser wird es für Russland und die ganze Welt sein.

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Zum Autor:

Mag. Martin Engelberg ist Psychoanalytiker, geschäftsführender Gesellschafter der Vienna Consulting Group, Lehrbeauftragter an der Wirtschaftsuniversität Wien und Herausgeber des jüdischen Magazins „NU“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.12.2014)

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