Nach Terroranschlägen in Paris: Endlich Klartext reden, bitte!

Anlässlich der terroristischen Überfälle in Frankreich wurde sehr viel gesagt – aber sicher nicht immer mit der nötigen Eindeutigkeit. Hier ein Versuch:

Erstens: Die Terroranschläge von Paris waren die Kriegserklärung der Islamisten an Europa, so wie es 2001 die Anschläge vom 11. September an die USA waren. Den Kopf in den Sand zu stecken hilft uns nicht weiter. Vorbei die Illusion, dass die USA am Terror selbst schuld seien und Europa die klügere Politik betreibe. Mitnichten! Mitten unter uns leben tausende fanatisierte und zu Gewalttaten entschlossene Psychopathen, und wir müssen uns polizeiliche Strategien überlegen, wie wir sie an weiterem Morden hindern können.

Eine mindestens ebenso große Herausforderung ist die Trockenlegung des Sumpfes von islamischen Hasspredigern, Sympathisanten und Netzwerken, die die Terroristen hervorbringen und sie direkt oder indirekt unterstützen. Schließlich: Es ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, an dem sich noch viel mehr Muslime und insbesondere deren Vertreter und religiösen Würdenträger klar dazu äußern müssen, dass die Terroristen sich fälschlicherweise auf den Islam berufen. Diese Forderung wird einer der Eckpunkte europäischer Innen- und Außenpolitik werden müssen.
•Zweitens: Weniger Sozialromantik und Milieutheorie sind angesagt. So wie eine kanadische Diplomatin einmal zu den Problemen in den französischen Vorstädten sagte: Auch ihre marokkanisch-jüdische Familie war in den 1950er-Jahren nach Frankreich eingewandert – ohne Geld, ohne Arbeitsplatz und ohne herzliche Willkommensgrüße. Aber ihre Eltern arbeiteten hart und investierten ihr ganzes erspartes Geld in die Ausbildung ihrer Kinder. So wurde ein Bruder Arzt, einer wurde Rechtsanwalt, und sie trat in den französischsprachigen diplomatischen Dienst von Kanada ein.

Wenn Zuwandererfamilien nicht imstande oder gewillt sind, ihre Kinder im Rahmen unseres Werte- und Bildungssystems großzuziehen, dann müssen wir als Gesellschaft – wie auch in anderen Fällen von Problemfamilien – einschreiten und die Verantwortung übernehmen: für ordentliche Bildung, Erziehung und ein Fernhalten von radikalen Verführern.
•Drittens: Zur gleichen Zeit müssen wir mit allen Mitteln jene Muslime in Europa und in der Welt unterstützen, die sich integrieren wollen, die sich zu den westlichen Werten bekennen und die den Mut haben, gegen Radikalismus, Rückständigkeit, Menschenverachtung und Antisemitismus im Islam und in der islamischen Welt aufzutreten. Den Weg in die Moderne müssen die Muslime selbst gehen.
•Viertens: Charakteristika des Islamismus und leider auch von weiten Teilen der islamischen Welt sind erstens der Hass auf unsere westliche Wertegemeinschaft und zweitens der fanatische Antisemitismus. Fast symbolhaft wurden beide in Paris zum ersten Mal gleichzeitig angegriffen: die Karikaturisten von „Charlie Hebdo“ als Verteidiger der Meinungsfreiheit und die Juden per se.

Wir müssen uns als gemeinsames Ganzes verstehen und dabei nicht übersehen, was und wer die Ziele des islamischen Terrors sind. Da ist die gedankenlose Erklärung der österreichischen Bundesregierung, dass Menschen „zum falschen Zeitpunkt an den Orten des Terrors waren“, wenig hilfreich.

Die Juden im koscheren Supermarkt wurden von Muslimen ermordet, weil sie Juden waren. Punkt. Das gilt es nicht zu verschleiern.

Ebenso wichtig ist, sich von jüdischer Seite als Teil der europäischen Gesellschaften zu begreifen, deren klassischer Antisemitismus in den vergangenen Jahrzehnten stark zurückgegangen ist. Zu sehen, dass Juden heute in einem Frankreich leben, das zwar vor 100 Jahren den jüdischen Hauptmann Alfred Dreyfus in einem antisemitischen Prozess entehrte und verurteilte, in dem aber zuletzt Premierminister Manuel Valls vor der Nationalversammlung eine flammende Solidaritätsrede für die jüdische Gemeinschaft hielt und ausrief: „Ohne die Juden Frankreichs wäre Frankreich nicht mehr Frankreich.“

Nur gemeinsam, mit Entschlossenheit und klarem Blick werden wir im Kampf mit dem Islamismus bestehen.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zum Autor:

Mag. Martin Engelberg ist Psychoanalytiker, geschäftsführender Gesellschafter der Vienna Consulting Group, Lehrbeauftragter an der Wirtschaftsuniversität Wien und Herausgeber des jüdischen Magazins „NU“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.01.2015)

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