Die Griechen: Stolz und rebellisch, orientierungslos und verkrampft

Die Griechen experimentieren aufgrund ihrer schwach ausgeprägten Identität wild herum und werden damit auch zum Fantasieobjekt der Linken in Europa.

Vor einigen Jahren überraschte der amerikanische Psychoanalytiker mit türkisch-zypriotischen Wurzeln, Vamik Volkan, die Zuhörer seines Vortrags zu den Hintergründen des Konflikts um Zypern mit – scheinbar – verwegenen Thesen: Die Identität des modernen Griechenland sei extrem prekär und seine Verbindung zu den Griechen der Antike reine Fantasie. In Wirklichkeit war das heutige Griechenland über viele Jahrhunderte Teil des Osmanischen Reichs, währenddessen die Bevölkerung völlig durchmischt wurde und die Landessprache türkisch war.

Erst Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich wieder ein eigenständiger griechischer Rumpfstaat um Athen herum. Noch im Jahr 1923 fand im Zuge des Vertrags von Lausanne ein gewaltiger Bevölkerungsaustausch statt, als 1,5 Millionen in der Türkei verstreute Griechen nach Griechenland übersiedelten bzw. dazu gezwungen wurden – im Abtausch für 500.000 türkische Muslime, die aus Griechenland in die Türkei mussten. In dieser sehr brüchigen Identität des modernen Griechenland erblickte Volkan den Grund für das oftmals irrationale Verhalten der griechischen Politik.

Auch das Verhältnis Griechenlands zu Europa, vor allem zu Deutschland ist durch die Geschichte der vergangenen 150 Jahre stark belastet. Die europäischen Mächte unterstützten zwar die Staatswerdung im 19.Jahrhundert, installierten aber gleichzeitig von außen eine Monarchie. Dabei darf nicht vergessen werden, dass der erste griechische König, Otto I., aus dem bayrischen Königshaus stammte; ihm folgte mit Georg I. ein dänischer Prinz aus einer deutschen Adelsfamilie.

Dazu kommt das harte Besatzungsregime Nazideutschlands im Zweiten Weltkrieg. Im Zuge dessen wurde praktisch die gesamte Güterproduktion geraubt und wurden den Griechen obendrein hohe „Besatzungskosten“ abverlangt. Dies führte zum wirtschaftlichen Zusammenbruch Griechenlands, zu einer Hungerkatastrophe und einer Säuglingssterblichkeit von 80 Prozent. Angesichts dieser Geschichte wird verständlicher, wofür Deutschland in Griechenland steht und wie leicht die deutsche Bundeskanzlerin, Angela Merkel, zum griechischen Feindbild Nummer eins mutieren konnte.

Unter Berücksichtigung der brüchigen Identität und des schwach ausgeprägten Selbstwertgefühls der Griechen wird auch das komplexhafte Agieren Athens im Konflikt um Zypern, im Namensstreit mit Mazedonien und schlussendlich in der Frage der Schuldenregulierung mit den EU-Partnern und insbesondere Deutschland verständlicher.

Die Mannhaftigkeit der Griechen drückte sich vor allem in der Verweigerung der Bezahlung von Tributen und Steuern an die Besatzer – also Osmanisches Reich (sprich: Türkei) und Nazideutschland – aus. Für die stolzen Griechen ist es extrem schwierig, Geschenke entgegenzunehmen oder einer harten Behandlung ausgesetzt zu werden. Es ist dann auch genau diese identitätsdiffuse, orientierungslose, rebellische Haltung der Griechen, die die ebenfalls um Orientierung ringende europäische Linke in ihren Fantasien beflügelt.

Offensichtlich meinen diese Linken in anderen europäischen Ländern, in Griechenland könnte endlich der Aufstand gegen die verhassten Kapitalisten beginnen, den sie selbst zu Hause einfach nicht zu entfachen imstande sind. Dass sich das neue Idol dieser Linken, der frisch in Athen ans Ruder gekommene Premier Alexis Tsipras, sogleich in eine Koalition mit der rechtspopulistischen Anel-Partei begibt und deren Vorsitzenden, Panos Kammenos, der sich schon wiederholt mit antideutschen und antisemitischen Sagern hervorgetan hat, zum Verteidigungsminister macht, spricht eigentlich Bände.

Wie schon so oft in der Geschichte finden extreme Rechte und extreme Linke schnell zueinander. Es bleibt nur zu hoffen, dass die Griechen schnell genug auf den Boden der Realität zurückgeholt werden, bevor dieser Halluzinationsbazillus auch auf andere Länder übergreift.

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Zum Autor:

Mag. Martin Engelberg ist Psychoanalytiker, geschäftsführender Gesellschafter der Vienna Consulting Group, Lehrbeauftragter an der Wirtschaftsuniversität Wien und Herausgeber des jüdischen Magazins „NU“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.02.2015)

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