Österreichs Umgang mit seinen Juden: Es hat sich einiges getan

Hat Österreich seine Rolle während der NS-Zeit tatsächlich noch nicht aufgearbeitet, wie manche kritisieren? Ein Rückblick auf die vergangenen Jahrzehnte.

Die Zuschauer in einem US-Kino erheben sich am Ende des gezeigten Films und applaudieren. Verständlich, erzählt doch der Film „Frau in Gold“ (Filmstart in Österreich am 4.Juni) den berührenden Kampf der Maria Altmann um die Herausgabe des ihrer Familie gestohlenen Klimt-Porträts ihrer Tante Adele Bloch-Bauer. Es hing seit dem Raub durch Nazis als österreichische Mona Lisa im Belvedere und wurde erst nach jahrelangem, zähem Ringen und nach dem Einschreiten des Obersten Gerichts der USA von Österreich an die rechtmäßige Erbin ausgefolgt.

Ob es denn in Österreich wirklich so schlimm zugehe, werden wir danach von amerikanischen Freunden gefragt; ob dieser Film in Österreich überhaupt gezeigt werde und wie wohl die Reaktion des Publikums sein werde. Als Zeitzeuge der Entwicklung Österreichs der vergangenen Jahrzehnte keine leicht zu beantwortenden Fragen. Erinnerungen an meinen Vater kommen hoch, der sich noch in den 1960er-Jahren in den seltenen Fällen, in denen er einen Prozess zu führen hatte, eines Rechtsanwalts bediente, der ein bekannter Nazi war. Er war überzeugt, sonst mit dem Vornamen Samuel vor einem österreichischen Gericht völlig chancenlos zu sein.

Oder jener gute Freund meiner Eltern, der mitansehen mussten, wie der Ariseur des elterlichen Betriebs diesen auch nach dem Krieg behalten konnte und höhnisch den Wohlstand genoss. Einmal zeigte er mir auf dem Weg durch die Innenstadt alle Geschäftslokale, die den einstigen jüdischen Besitzern geraubt und nie mehr zurückgegeben wurden. Es waren erschreckend viele. Das Motto in Österreich war damals, dass endlich Schluss sein müsse mit der Vergangenheit – noch bevor man über diese überhaupt zu sprechen begonnen hatte.

Die Kanzlerschaft Bruno Kreiskys in den 1970er-Jahren änderte daran nichts – eher im Gegenteil. Kreiskys antiisraelische Haltung und schwierige Beziehung zur eigenen jüdischen Herkunft verschärften die Situation noch: Er ernannte vier ehemalige Mitglieder der NSDAP zu Ministern und ließ alle noch laufenden Nazi-Verfahren einstellen.

Dann kam die „Waldheim-Zeit“. Wir erinnern uns an die geifernde, gehässige antisemitische Stimmung, die das Land erfasst hat, an den trotzigen Slogan „Wir wählen, wen wir wollen“ auf den judensterngelben Wahlplakaten der ÖVP. Einzig das Nachrichtenmagazin „Profil“ unter den Herausgebern Peter Michael Lingens und Hubertus Czernin forderte, dass sich Österreich, repräsentiert durch den Bundespräsidentenkandidaten Kurt Waldheim, endlich seiner Rolle und Mittäterschaft in der NS-Zeit stellen sollte. Waldheims beharrliche Antwort, er habe im Zweiten Weltkrieg nur seine Pflicht getan, klingt noch in den Ohren.

Franz Vranitzky, der österreichische Bundeskanzler in jenen Jahren, leitete eine neue Entwicklung ein: Er hielt 1991 vor dem österreichischen Nationalrat und 1993 an der Universität Jerusalem historische Reden, in denen er die Mittäterschaft vieler Österreicher an den NS-Verbrechen zugab und dafür im Namen der Republik um Verzeihung bat.

Seither hat sich viel im Verhältnis des offiziellen Österreichs zu seinen früheren jüdischen Bürgern geändert. Der Nationalfonds für die Opfer der Nazi-Zeit wurde eingerichtet, zahlreiche Kunstgegenstände wurden restituiert. Nicht nur Nobelpreisträger und sonstige Prominenz werden eingeladen, Österreich zu besuchen, und werden hier auch geehrt.

Manchen, wie dem früheren Chefredakteur Ari Rath, ist Wien wieder zur Heimat geworden, andere wie der Hollywood-Produzent Eric Pleskow oder die Nobelpreisträger Eric Kandel und Martin Karplus besuchen Österreich gern und häufig; Letzterer sogar ausgestattet mit einer vom Wiener Bürgermeister persönlich unterschriebenen Genehmigung, seinen geliebten Hund auch bei Museumsbesuchen mitnehmen zu dürfen. Es ist bemerkenswert und schön zu beobachten, wie nett Österreich im Umgang mit den jüdischen Menschen geworden ist.

E-Mails an:debatte@diepresse.comZum Autor:

Mag. Martin Engelberg ist Psychoanalytiker, geschäftsführender Gesellschafter der Vienna Consulting Group, Lehrbeauftragter an der Wirtschaftsuniversität Wien und Herausgeber des jüdischen Magazins „NU“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.05.2015)

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