Die letzten Meter vor dem frontalen Zusammenstoß

Die EU täte gut daran, gegenüber Athen nicht nachzugeben. Der ökonomische und politische Schaden wäre sonst noch größer als im Falle einer Kollision.

Im Konflikt zwischen der EU und Griechenland wurde schon oft das Beispiel aus der Spieltheorie bemüht: Zwei Autofahrer rasen aufeinander zu, wer ausweicht, ist ein Angsthase. Vermeiden beide den Zusammenstoß, ist es besser für jeden, als der alleinige Feigling zu sein. Aber das Ergebnis ist schlechter als für den Sieger, der auf Konfrontationskurs geblieben ist. Weicht keiner aus und es kommt zum fürchterlichen Unfall, ist das Ergebnis für beide noch schlechter, als wenn einer der Schlappschwanz war.

Bekanntlich sind die Mannen der griechischen Regierung große Anhänger der Spieltheorie – sie steuern also auf die große Kollision mit der EU zu. Weicht die EU im letzten Moment aus, sind die Griechen die großen Sieger. Kommt es zum Zusammenstoß, dann ist es – nach Meinung der Griechen – auch nicht schlimmer als die jetzige Situation. Und die EU und vor allem Deutschland können als Sündenböcke für ihre Misere herhalten.

Es liegt einzig an der EU zu entscheiden: nachgeben oder den Crash riskieren. Streng nach der Spieltheorie müsste die EU zurückziehen, denn das Ergebnis wäre dann noch immer besser als bei einer Kollision. Aber ist das in diesem Fall wirklich so?

Nach streng wirtschaftlichen Kriterien ist die Situation nach Ansicht so gut wie aller Experten eindeutig: Griechenland wird seine Staatsschulden nie zurückzahlen können und das Land ist nicht zu jenen Reformen bereit, die sicherstellen würden, dass Griechenland in Zukunft nicht laufend noch mehr Geld benötigt. Also würde ein Kaufmann sagen: Wir werfen dem schlechten Geld kein gutes mehr nach – Ende der Alimentierung Griechenlands durch die EU.

Die Fortführung der Verhandlungen durch die EU hat daher einzig und allein politische Gründe. Die Einstellung der Zahlungen an Griechenland hätte tatsächlich sofort dramatische Folgen: Die griechischen Banken gingen bankrott, die Ersparnisse der Menschen wären verloren, das noch verbliebene Vertrauen in die Politik, das Steuersystem, die Staatsgewalt insgesamt wäre dahin. Die regierende Syriza-Partei ist linkspopulistisch und hat einen starken marxistischen Flügel. Darüber hinaus gibt es noch die Kommunisten sowie auf der anderen Seite des Spektrums die immer stärker werdende neofaschistische Partei Goldene Morgenröte, die allesamt durch eine solche Entwicklung zusätzlichen Zulauf bekommen würden: Grund genug für die EU, sich zu fürchten und klein beizugeben, wird vielerorts argumentiert.

Doch die Gefahr von links und rechts lauert anderswo noch viel mehr: Gibt die EU jetzt nach, dann würde das jene linkspopulistischen Parteien in Ländern wie Spanien, Portugal bis hin zu Italien und Frankreich noch weiter in ihrer Forderung nach einer Umverteilung innerhalb der EU bestärken. Warum sollen diese den harten Sanierungskurs noch weiter tragen, wenn den Griechen nachgegeben wird? Dies würde also den endgültigen Bannbruch gegenüber den Linkspopulisten in Europa bedeuten. Auf der anderen Seite wäre jedoch auch ein massives Ansteigen der Unzufriedenheit in den Geberländern zu erwarten.

Nicht zuletzt auch in Österreich wird an allen Ecken und Enden gespart, werden Steuern und Abgaben immer mehr erhöht. Sollte ein Teil dieses Geldes weiter und auf Dauer an Griechenland und wohl auch noch weitere Länder fließen, die EU also zur Transferunion werden, sollte uns ein weiteres Erstarken der rechts- und national-populistischen Bewegungen in der EU nicht weiter verwundern.

Starren wir also weiterhin nur gebannt auf die politische Situation in Griechenland und die dort mögliche Entwicklung im Falle eines Staatsbankrotts, übersehen wir die politischen Gefahren, die uns in anderen EU-Ländern drohen, wenn die EU jetzt gegenüber Athen nachgibt. Im Sinne der Spieltheorie heißt das: Der Schaden für Europa wäre im Falle des Nachgebens größer als im Falle des Zusammenpralls. Man darf auf die letzten Meter vor dem Crash gespannt sein.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zum Autor:

Martin Engelberg ist Psychoanalytiker, geschäftsführender Gesellschafter der Vienna Consulting Group, Lehrbeauftragter an der Wirtschaftsuniversität Wien und Herausgeber des jüdischen Magazins „NU“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.06.2015)

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