Wie wir uns vor den wirklich gefährlichen Jungs schützen sollten

Das Massaker von Orlando offenbart die Gefährlichkeit dünnhäutiger Narzissten. Ohne moderne Datenüberwachung sind solche Leute wohl nicht aufzuhalten.

Und wieder fragen uns unsere Kinder und wir uns selbst: Was treibt jemanden an, wie in Orlando geschehen, 49 Menschen zu ermorden, die ihm nichts getan haben? Wie ist das zu verstehen? Vor allem: Wie können wir uns vor solchen Mördern schützen?

Der US-Politologe Peter Bergen hat dieser Tage in einer Studie nachgewiesen: Der Anteil an psychisch Kranken unter Terroristen ist nicht höher als jener in der Gesamtbevölkerung. Sie haben auch nicht häufiger eine kriminelle Vorgeschichte als der Durchschnitt. Die Problematik ist also viel komplexer. Ein erster Zugang sind die Ergebnisse der psychoanalytischen Forschungen zu den narzisstischen Persönlichkeitsstörungen – früher umgangssprachlich Psychopathen genannt.

Wir verbinden mit Narzissmus für gewöhnlich Personen mit Charisma, einem Hang zu Grandiosität und Exhibitionismus. Diese Typen werden als dickhäutige Narzissten bezeichnet, die durchaus imstande sind, auch Rückschläge und Niederlagen zu verkraften. Nicht hingegen die weniger bekannten dünnhäutigen Narzissten: Die sind typischerweise höchst fragil in ihrem Selbstwertgefühl, verletzlich, gehemmt, überempfindlich, leicht kränkbar, chronisch neidig und scheu.

Das sind die wirklich gefährlichen Jungs – und es sind tatsächlich etwa 75 Prozent Männer, die in diese Kategorie fallen; die 25 Prozent Frauen agieren ihre diesbezügliche Persönlichkeitsstörung eher nicht durch Gewaltexzesse aus.

Auch hier steht die starke Polarität des Selbstwertgefühls im Vordergrund. Der brennende Wunsch nach Glanz und Glorie steht unmittelbar neben der vernichtenden Angst, ein Nichts zu sein, bar jeder Bedeutung. Aufgrund ganz spezifischer Störungen oder Traumatisierungen fokussiert sich der daraus resultierende, entmenschlichte Hass dann auf eine bestimmte Person oder Zielgruppe.

So wird die Gewinnerin eines Talentwettbewerbs umgebracht, werden Lehrer und Mitschüler ermordet oder – wie zuletzt – Schwule massakriert. Damit sichern sich diese Psychopathen den ultimativen Auftritt und einen Platz in den Geschichtsbüchern. Unterstützt auch durch unsere Mediengesellschaft, die die Gesichter und Namen der Mörder für immer in unser Gedächtnis einbrennt.

Ein zusätzliches Problem: Vor allem in den USA sind die Möglichkeiten, an todbringende Waffen zu gelangen, praktisch unbegrenzt. Vor rund einem Monat hat in Deutschland ein Wahnsinniger mit einem Messer wahllos auf Passanten eingestochen und dabei eine Person getötet und drei weitere verletzt. Nicht auszudenken, welches Blutbad er angerichtet hätte, wäre er im Besitz einer Pistole oder sogar halb automatischen Waffe gewesen wie der Mann in Orlando.

Das zweite, noch viel größere Gefahrenpotenzial kommt vonseiten islamistisch geprägter Attentäter. In diesem Fall sind es ganze Gesellschaften, die dem Zustandsbild des gekränkten Narzissmus verfallen sind. Zur Abwehr der schmerzlichen Realität der Rückständigkeit der islamischen Welt sollen grandiose und besonders skrupellos brutale Attentate dienen.

Was also tun? Erstens: Die große Mehrheit der Muslime sind keine Attentäter. Sie müssen aber mit ganzer Kraft dem Treiben ihrer terroristischen Glaubensbrüder entgegentreten und damit aufhören, sie mit Duldung oder gar Sympathie gewähren zu lassen.

Zweitens werden wir nicht umhinkommen, bei der Polizeiarbeit alle modernen Möglichkeiten der Datenüberwachung zur Prävention zu nutzen. Die Wissenschaft der Predictive Analytics, der Vorhersageanalyse aufgrund charakteristischer Verhaltensmuster möglicher Attentäter, wird in den USA und in Israel bereits mit gewissen Erfolgen eingesetzt.

Dabei muss es eine umfangreiche Analyse auch privater Daten geben und werden mitunter auch Unschuldige in Verdacht geraten. Die Tatsache aber, dass wir es zunehmend mit sogenannten einsamen Wölfen und Attentätern ohne Netzwerke zu tun haben, wird uns bei deren Abwehr keine andere Wahl lassen.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zum Autor:

Mag. Martin Engelberg ist Psychoanalytiker, geschäftsführender Gesellschafter der Vienna Consulting Group, Lehrbeauftragter an der Wirtschaftsuniversität Wien und Herausgeber des jüdischen Magazins „NU“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.06.2016)

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