Eine Glaswand trennt Hillary Clinton vom Einzug ins Weiße Haus

Die demokratische Präsidentschaftsbewerberin hat sich stets als Anwältin für die Schwachen engagiert. Dennoch gilt sie als gefühlskalt, berechnend und abgehoben.

Eigentlich ist es unbegreiflich, wie das Wahlkampfduell zwischen Hillary Clinton und Donald Trump zu einem Kopf-an-Kopf-Rennen werden konnte. Bei einem Lokalaugenschein in den USA wird klar: Es ist nicht die Stärke von Trump, die zählt, sondern es ist der emotionale Widerstand gegen Clinton. Ihre Persönlichkeit ist ständig Gegenstand von Psychogrammen. Meistens überwiegt die Einschätzung, sie sei kalt, berechnend, ehrgeizig – eine Lady Macbeth.

Welche Ironie! Da setzt sich eine Frau konsequent für die Schwachen ein, für die Rechte von Kindern, Frauen und benachteiligten Minderheiten. Sie steht zu ihrem Mann, auch wenn er sie vor aller Welt betrügt und belügt. Ihrer Tochter ist sie eine liebende Mutter. Dennoch fühlte sich bei ihr etwa der neue britische Außenminister an eine sadistische Krankenschwester erinnert.

Politisch hat Hillary Clinton etliche Erfolge vorzuweisen: Sie hat als First Lady schon vor 20 Jahren eine Krankenversicherung für alle Kinder durchgesetzt und dafür auch die Republikaner an Bord geholt. Auch ihre schärfsten Kritiker gestehen ihr zu, ihre Aufgaben immer sachkundig, analytisch brillant und mit Fleiß erfüllt zu haben; nicht zuletzt als US-Außenministerin während der ersten Amtszeit von Obama. Dennoch werden ihr Arroganz und Gefühlskälte vorgeworfen. „Alle Frauen lieben noch immer Bill. Niemand liebt Hillary“, bringt es eine amerikanische Anwältin auf den Punkt.

Die Rezeption von Frauen in Führungspositionen hat immer starke emotionale, oft unbewusste Komponenten. Entweder sie werden als stark und unabhängig, mit eisernem Willen ausgestattet wahrgenommen – und dann wie Margaret Thatcher als Eiserne Lady bezeichnet. Oder Politikerinnen werden als mütterliche Figuren angesehen – wie etwa die israelische Premierministerin Golda Meir oder heute Angela Merkel, die zur „Mutti der Nation“ avanciert ist.

Es ist offensichtlich ein schmaler Grat, den Frauen gehen müssen, um alle Seiten abzudecken. Diese Frage beschäftigt die Psychoanalyse seit je. Es war Sigmund Freud, der den Begriff des Penisneids bei Frauen prägte. So würde das kleine Mädchen schon früh wahrnehmen, keinen Penis zu besitzen, und unbewusst die Fantasie entwickeln, kastriert worden zu sein. Dieses Gefühl der Minderwertigkeit beziehungsweise des Neids äußere sich in verschiedenen Formen, unter anderem als Verleugnung der eigenen Penislosigkeit in Form einer Übernahme besonders männlich konnotierter Verhaltensweisen. Auch wenn dieses Konzept immer wieder auf weibliche Persönlichkeiten wie Hillary Clinton angewandt wird, gilt es weithin als überholt und als Ausdruck eines chauvinistischen Denkens von Freud selbst.

Viel stimmiger erscheinen neuere psychoanalytische Überlegungen: Dabei steht die große Bedeutung der Mutterrolle der Frau im Zentrum. Sie ist für das physische und emotionale Überleben jedes Kindes entscheidend. Eine kalte, emotionslose, ablehnende Mutter ist daher eine große Bedrohung für jeden Menschen. Buben und Mädchen müssen sich von dieser allmächtigen Mutter emanzipieren und unabhängig sowie selbstständig werden.

Mitunter misslingt das – und jede starke Frau wird schnell einmal als bedrohlich angesehen. Genau hier scheint auch Hillary Clintons größtes Problem begraben zu sein. Ein politischer Beobachter meinte, Clinton sei durch die jahrzehntelangen politischen Kämpfe geprägt und durch diese emotional eben sehr zurückhaltend geworden. Sie hätte einen Hang dazu entwickelt, Details ihrer Arbeit, ihre Schwächen, ja, alles Persönliche überhaupt verheimlichen zu wollen, damit ihr daraus kein Strick gedreht werden könne.

Wie auch immer: Hillary Clinton hätte es in der Hand, die sogenannte gläserne Decke zu durchbrechen, die sie als erste Frau vom Präsidentenamt der Vereinigten Staaten trennt. Doch dazu müsste sie zuerst einmal die Glaswand beseitigen, die sie momentan vom Wahlvolk trennt.

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Zum Autor:

Mag. Martin Engelberg ist Psychoanalytiker, geschäftsführender Gesellschafter der Vienna Consulting Group, Lehrbeauftragter an der Wirtschaftsuniversität Wien und Herausgeber des jüdischen Magazins „NU“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.08.2016)

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