Wie Österreichs Spitzenpolitiker die miese Stimmung noch anheizen

Wenn jetzt auch noch die führenden Politiker dazu beitragen, unser Land und Europa zu einem „No-future-Kontinent“ werden lassen – dann gnade uns Gott.

Ich war in den USA, als ich erfuhr, dass sich der österreichische Bundeskanzler, Christian Kern, gegen die Freihandelsabkommen der EU mit den USA (TTIP) und mit Kanada (Ceta) ausgesprochen habe. Mich überkam die schiere Verzweiflung. Denn gerade noch stand ich unter dem Eindruck der Aussage: „Nur in unserem amerikanischen wirtschaftlichen, moralischen und sozialen System ist es möglich zu wachsen, zu konkurrieren und als freie menschliche Wesen und als freie Bürger Dinge zu schaffen.“ Das sind nicht die Worte eines US-Bürgers, sondern eines Österreichers.

Heinz Joseph Gerber kam 1940 mit 15Jahren aufgrund seiner Flucht aus Österreich knapp mit dem Leben davon. Er musste auf Tabakfeldern arbeiten, holte aber in kürzester Zeit die Matura und ein Technikstudium nach. Gerber wurde in den USA zum Thomas Edison der automatisierten Warenherstellung. Er erfand Maschinen und revolutionierte mit ihnen die Produktion von Autos, Kleidung, Schuhen, elektronischen Geräten und dergleichen mehr. Bereits 1953 wurde er als eine der zehn herausragenden Persönlichkeiten der USA ausgezeichnet, er bedankte sich mit den zitierten Worten.

Schon sehe ich die Postings geifernder Amerika-Kritiker und -Hasser vor mir: Donald Trump, George W. Bush, Irak-Krieg, Einfluss des Großkapitals, des militärisch-industriellen Komplexes, Ausbeutung der Menschen, Chlorhühner und so weiter und so fort. Alle diese Argumente sind bestens bekannt. Aber es hilft nichts: In den USA herrscht weiterhin ein Geist des Mutes, der Tatkraft und der Freude an Leistungen, der dieses Land immer wieder zu gewaltigen Höchstleistungen auf allen Gebieten antreibt.

Natürlich ist auch in den USA nicht alles Gold, es gibt eine lange Liste an nicht gemachten Hausaufgaben. Aber eines sollte außer Zweifel stehen: Nur in einer möglichst engen Zusammenarbeit Europas mit den USA werden sich die künftigen Herausforderungen der westlichen Welt bewältigen lassen. Und diese sind gewaltig. Österreich aber hat ein Ausmaß an Hoffnungs- und Mutlosigkeit, einen Mangel an Perspektive und Optimismus erreicht, der erschreckend ist.

Umso schlimmer, dass führende Politiker des Landes diese Stimmung noch zusätzlich anheizen. Wie weggeblasen ist die Erfahrung, welche Fortschritte eine liberale, weltoffene Gesellschaft bringen kann. Der Wohlstand ist enorm gestiegen, ebenso wie Lebenserwartung, Bildungsniveau und Lebensqualität. Zweifellos aber haben das Versagen der vergangenen Regierungen und die anfangs unkontrollierte Flüchtlingswelle die Menschen in Österreich in eine tiefe Frustration gestürzt.

Wenn aber jetzt die Spitzenpolitiker unser Land und Europa zu einem „No-Future-Kontinent“ werden lassen, wie es der kluge deutsche Historiker Philipp Blom jüngst in einem „Presse“-Interview trefflich ausgedrückt hat, dann gnade uns Gott. Blom beschreibt das gegenwärtige Motto so: „Wir wollen keine Zukunft gestalten, wir wollen nur die Gegenwart so lang wie möglich ausdehnen.“ Eine solche Haltung ist fatal, beschreibt aber exakt die jetzige Strategie der meisten österreichischen Spitzenpolitiker.

Es war bereits unerträglich, als die beiden Bundespräsidentschaftskandidaten erklärten, den TTIP-Vertrag – freilich, ohne den Inhalt zu kennen – nicht unterschreiben zu wollen. Gut – sie hätten laut Verfassung gar nicht das Recht, sich in dieser Frage einzumischen. Wenn sich aber jetzt der Bundeskanzler ebenso festlegt, muss für alle liberal und freidenkenden Menschen in Österreich endgültig Feuer am Dach sein.

Nachsatz zu Heinz Joseph Gerber – und allen Politikern ebenso wie Flüchtlingen ins Stammbuch geschrieben. In besagter Rede zeigte sich Gerber zutiefst dankbar gegenüber jenem Land, das ihm als Flüchtling eine neue Heimat gegeben hatte: „Sie haben mich aufgenommen, sie haben mir das Privileg gegeben, arbeiten zu dürfen und die Möglichkeit zu lernen. Mein Leben hat nur ein ultimatives Ziel: Und zwar zu dienen – dir zu dienen, Amerika. Vielen Dank!“

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Zum Autor:

Mag. Martin Engelberg ist Psychoanalytiker, geschäftsführender Gesellschafter der Vienna Consulting Group, Lehrbeauftragter an der Wirtschaftsuniversität Wien und Herausgeber des jüdischen Magazins „NU“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.09.2016)

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